Vertagte Diskussion
Auch ich hatte mir, wie vermutlich andere Analysten und Kommentatoren ebenfalls, von der gestrigen EZB-Sitzung nichts Marktbewegendes versprochen. Und deswegen habe ich mich an dieser Stelle auch nicht vorher mit der Ratssitzung beschäftigt. Ein Kommentator bemerkte ganz richtig, dass die EZB-Chefin Christine Lagarde einerseits Handlungsfähigkeit demonstriert, andererseits wichtige Fragen unbeantwortet gelassen habe. So etwa die Frage nach Höhe und Dauer des Pandemischen Notprogramms PEPP.
Quelle aus dem Off
Um diese Zurückhaltung zu verstehen, musste man jedoch im Anschluss an die Pressekonferenz nicht lange warten. Denn die Nachrichtenagentur Reuters zauberte wieder einmal drei wohlinformierte Quellen aus EZB-Kreisen (die verständlicherweise nicht genannt werden wollten) aus dem Hut. Quellen, die mit schöner Regelmäßigkeit für die Akteure an den Finanzmärkten EZB-Sachverhalte klarstellen, die ansonsten vielleicht missverstanden worden wären, und die dabei ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Eine Unart, wie ich finde.
Immerhin erklärte eine dieser Quellen, dass sich die Entscheidungsträger vor der Ratssitzung darauf geeinigt hätten, den geldpolitischen Kurs für die Zeit ab Juni nicht zu diskutieren und darüber erst befinden wollen, wenn die neuen [ökonomischen] Stabsprojektionen verfügbar seien. Und so musste man auch keine Auseinandersetzung zwischen geldpolitischen Falken und Tauben befürchten, zumal Letztere, so die Quellen, ihre frühere öffentliche Forderung nach einer Verringerung der Anleihekäufe im Rahmen des PEPP-Programms offenbar intern nicht wiederholt haben.
PEPP behält sein Tempo
Und so kann man sagen, dass die EZB ihre ultra-lockere geldpolitische Haltung bestätigte: Das Commitment der EZB vom März, die Anleihekäufe im Rahmen ihres PEPP-Programms in einem schnelleren Tempo durchzuführen, wird auch im zweiten Quartal fortgesetzt. Kurzum: Eine geldpolitische Unterstützung der Wirtschaft durch die Notenbank ist auch jetzt noch bis zum vielerorts erwarteten Beginn der konjunkturellen Erholungsphase im Herbst vonnöten.
So gesehen sollte es auch nicht überraschen, dass der Euro seine leichten Kursgewinne am gestrigen Handelstag wieder abgeben musste und gegenüber dem US-Dollar am Ende des Tages sogar mit einem leichten Minus beschloss. Ein Zeichen dafür, dass der vorherrschende kurzfristige Aufwärtstrend (Potenzial zunächst bis 1,2115/20 bzw. 1,2195) auch aufgrund größerer fehlender Schieflagen mittelfristiger orientierter Akteure nicht allzu kräftig ausfallen dürfte. Indes: Das Euro-Umfeld bleibt jedenfalls positiv, solange 1,1935 nicht unterlaufen wird.
Hinweis
Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.