Wenn der Postmann zu spät klingelt
EUR USD (1,1890) Derzeit gilt es als schick, gegen den US-Dollar zu sein. Und für viele Devisenhändler und Investoren liegen die Argumente für diese Haltung auf der Hand. Aber im Grunde sind es bereits seit einigen Wochen immer die gleichen Begründungen, die zu hören sind. Insbesondere wird den USA von den internationalen Investoren vorgehalten, sie hätten keine Strategie im Kampf gegen die Corona-Pandemie und seien auch nicht in der Lage, die ökonomischen Folgen der Krise in den Griff zu bekommen. Im Kongress ringen Republikaner und Demokraten um ein weiteres Stimulus-Paket, ohne zu einem Kompromiss zu gelangen. Tatsächlich werden die US-Regierung als dysfunktional und die Vereinigten Staaten insgesamt als zunehmend unregierbar wahrgenommen.
Keine reibungslosen US-Wahlen
Ganz zu schweigen davon, dass sich vielerorts mehr und mehr die Meinung verfestigt, dass die US-Wahlen am 3. November nicht reibungslos vonstattengehen werden. Bis hin zu der Befürchtung, dass der Wahltermin verschoben wird. Nicht zuletzt aufgrund eines offenbar maroden Postsystems, das die Sorge vor einer Beeinträchtigung der Briefwahl von Tag zu Tag wachsen lässt. Kurzum: Der Briefversand dürfte bei der US-Präsidentenwahl eine wichtige Rolle spielen.
So ließ die Post bereits durchblicken, dass per Briefwahl abgegebene Stimmzettel womöglich nicht rechtzeitig zugestellt würden, um beim Wahlergebnis berücksichtigt werden zu können. Es ist schon erstaunlich, dass der erst im Mai ernannte Post-Chef Louis DeJoy das Unternehmen ausgerechnet ein paar Wochen vor den Wahlen, wie es Donald Trump ausdrückte, „großartig“ machen, sprich: sanieren möchte.
Auch die Tatsache, dass Journalisten Donald Trump immer wieder fragen, ob er im Falle einer Wahlniederlage am 3. November tatsächlich seinen Sessel räumen werde, wirkt befremdlich. Als ob ein abgewählter Präsident eine andere Option hätte, als sich aus dem Weißen Haus zu entfernen. Aber je öfter dies zur Disposition gestellt wird, so als hinge es auch vom „good will“ Donald Trumps ab, ob er dem Wahlsieger weichen werde oder nicht, desto mehr gewinnt diese eigentliche Unmöglichkeit an Realität.
Hohe USD-Untergewichtung
Argumente gegen den Dollar sollten sich auf der anderen Seite zugunsten des Euro auswirken. Natürlich war der Beschluss, einen EU-Wiederaufbaufonds aufzulegen, ein wichtiger Schritt. Außerdem galt die Art und Weise, wie hierzulande mit der Covid-19-Krise umgegangen wurde, im Vergleich zu den USA fast schon als vorbildlich. Nun aber steigen die Fallzahlen wieder – und das bedeutet ein Risiko für den Euro. Manchem Beobachter ist der Aufstieg des Euro angesichts des vorherrschenden bullishen Sentiments ohnehin viel zu schnell gegangen.
Aber eine Umfrage der Bank of America (7. bis 12. August) ergab nun, dass 36 Prozent der in diesem Monat befragten Fondsmanager (im Juli betrug der Anteil noch 30 Prozent) auf einen schwächeren Greenback setzen. Mehr noch: Die Untergewichtung dieser Manager im Dollar war nach Angaben von BofA-Strategen so hoch wie zuletzt im Jahr 2008. Dies für sich allein genommen wäre Grund genug, die derzeitige Dollar-Situation als antizyklisches Kaufsignal (sog. „contrarian buy signal“) zu interpretieren. Vor allem, wenn man noch die rekordhohen spekulativen Euro-Long-Positionen an der Chicagoer Futures-Börse von vor einer Woche in Betracht zieht.
Riskantes antizyklisches Dollar-Signal
Indes: 40 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass sich der prozentuale Anteil des Dollar an den internationalen Währungsreserven in den kommenden zwölf Monaten verringern wird; 30 Prozent glauben, dass der Euro von einer solchen Verschiebung profitieren werde. Ein Schmelzprozess (vgl. auch meinen Beitrag HIER), der aufgrund seiner möglichen Intensität ein antizyklisches Kaufsignal für den Dollar zurzeit fragwürdig erscheinen lässt. Der Aufwärtstrend des Euro wird aktuell lediglich durch eine Konsolidierung zwischen 1,1715 und 1,1930 modifiziert) in einen kurzfristigen Schönheitsschlaf versetzt. Insgesamt bleibt die Situation für den Euro innerhalb der Konsolidierung ohnehin günstig, solange 1,1780 nicht unterlaufen wird.
Hinweis
Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.