Gesellschaft Politik

Von der Euro-Krise zur Währungsreform -Teil 2

am
6. Dezember 2011

Eine Währungsreform[1] würde psychologisch nichts anderes als die Kapitulation der Politik vor dem in der Krise angehäuften, nicht mehr zu bewältigenden Schuldenberg bedeuten. Außerdem dürfte sie sich keineswegs darin erschöpfen, dass man von seinem bisherigen Geldvermögen einfach ein paar Nullen wegzustreichen hätte.

Vielmehr führt die gegenseitige relative Bewertung der Menschen im sozialen Kontext dazu, dass man ziemlich genau festlegen kann, was „relativ arm“ und „relativ reich“ bedeutet, was also unten und was oben ist. Und wenn es einmal jemandem gelingt, diese Bandbreite, die durch die soziale Umgebung, in der man sich bewegt, festgelegt wird, zu verlassen, dann dauert es in der Regel nur ein paar Monate, bis er sich an sein neues Umfeld gewöhnt hat. Man denke nur an einen Lottogewinn, der einen möglicherweise aus dem „Reich der Armut“ in das „Reich des Reichtums“ gleich einem Paradigmenwechsel katapultiert. Dasselbe gibt es natürlich auch in Form eines plötzlichen, oft unverschuldeten Absturzes nach unten. Selbst an diesen kann man sich nach einer gewissen Zeit gewöhnen. Wobei die größte Angst darin bestehen dürfte, dass man diesen Weg nach unten möglicherweise alleine antreten muss und daher in ein komplett neues soziales Umfeld gerät. Die größte Angst ist also die vor der Veränderung.

Wer sich mit dem Thema Währungsreform beschäftigt, sollte sich diese Erkenntnis zu Nutze machen, insbesondere wenn im Extremfall Vermögen zusammengestrichen und Schulden erlassen werden müssen. Dabei sollten hohe Vermögen, die in erster Linie bei Menschen vorhanden sein dürften, die während der vergangenen Jahrzehnte überproportional von der Gesellschaft und den gesetzlichen Rahmenbedingungen (etwa der Liberalisierung der Märkte) profitiert haben, auch überproportional reduziert werden. Denn es ist gerade diese Oberschicht, vor allem in den USA, die ihr Vermögen und ihr Einkommen während der vergangenen Jahrzehnte vervielfacht hat. Im Gegensatz zum Gros der Bevölkerung, dessen Einkommen sich während der gleichen Zeit inflationsbereinigt verringert hat[2]. Und gerade diesem Ungleichgewicht – obwohl nie so präzise zum Ausdruck gebracht – zwischen dem oberen Prozent und den restlichen 99 Prozent der Bevölkerung hat sich die Occupy-Bewegung gewidmet. Nicht, dass die Demonstranten etwas gegen Reichtum oder dessen ungleiche Verteilung hätten. Solange für jeden dieselben Spielregeln gelten.

Die Hauptkritik bezieht sich indes im Wesentlichen darauf, dass einige gesellschaftliche Gruppen während der vergangenen Jahrzehnte unverhältnismäßig stark profitieren konnten, weil sie zu ihrem Vorteil Einfluss auf die Gesetzgebung (z. B. durch massive Lobbyarbeit) genommen hatten. Und je mehr Vermögen sich in den Händen Weniger konzentriert, desto leichter fällt es diesen, ihren bereits übergroßen Reichtum mit geringem Aufwand zu erhöhen. So gesehen, birgt ein Währungsschnitt zumindest in der Theorie die Chance einer Umverteilung von oben nach unten, in deren Folge sogar der einstige Mittelstand der Gesellschaft wiederhergestellt werden könnte.

Der so genannte Reset, ein Begriff, mit dem angesichts der dramatischen Lage in Europa immer noch erstaunlich leichtfertig umgegangen wird, sollte also nicht nur einen Neuanfang beinhalten, sondern gleichzeitig auch eine Wiederannäherung an den ursprünglichen Begriff der sozialen Marktwirtschaft sein. Dazu gehört ein stufenweise zu vollziehender Umtausch verbliebener Geldvermögen (das hieße allerdings, dass mit steigenden Vermögen die Umtauschkurse ungünstiger würden), gegebenenfalls außerdem ein Lastenausgleich, wie er in Deutschland schon einmal nach der Währungsreform von 1948 für den Besitz von Immobilien durchgeführt wurde. Zudem sollte noch eine realistische Altersvorsorge eingerichtet werden, die nicht wie heute im Übermaß auf das Konto junger Generationen geht.

Gleichzeitig wäre bei einer solchen Reform darauf zu achten, dass die Bürger in der Folge nicht in eine andere soziale Schicht (auch nicht nach oben, etwa durch Krisengewinne) wechseln müssen, sondern in ihrem Umfeld verbleiben. Damit wären zwar sicherlich erhebliche Einschnitte im Lebensstandard der Einzelnen verbunden. Einschnitte, die jedoch weniger wehtun, wenn man weiß, dass der Nachbar sie auch erdulden muss. Einschnitte, von denen Tolstoi annehmen würde, dass man sich an sie gewöhnen könnte.

Aber die Geschichte hat einen Haken. Welchen, das werden Sie morgen erfahren.



[1] Eine Währungsreform als Ende und „worst case“ einer ungelösten europäischen Schuldenkrise ist das Thema meiner Blog-Trilogie, deren ersten Teil Sie hier nachlesen können

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2 Kommentare
  1. Antworten

    Ulrich_W_Hanke

    7. Dezember 2011

    Lieber Herr Goldberg, Sie schreiben, was sich andere Kapitalisten nicht trauen zu sagen: In der heutigen Zeit fragen sich selbst die größten Hardliner unter den Kapitalisten, ob das Gleichgewicht zwischen Arm und Reich noch in gut zu heißenden Bahnen verläuft. Ich habe gerade erst den Kinofilm „In Time“ mit Justin Timberlake in der Hauptrolle gesehen, den ich Ihnen und Ihren Lesern nur empfehlen kann. Daran ist Zeit im wahrsten Sinne des Wortes die neue Währung. Wer reich an Zeit ist, lebt ewig, wer keine Lebenszeit mehr hat, stirbt. Welch Parallelen sich da auf tun – schöne neue Euro-Welt. Gruß Ulrich W. Hanke

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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