Behavioral Ethics Dollar am Morgen

Verschobene Normen

am
11. August 2020

EUR USD (1,1750)             Der gestrige Handelstag gehörte eher zu den ruhigeren in Sachen Euro – man muss schon bis Mitte Juli zurückgehen, um eine ähnlich träge Sitzung im Verhältnis zum US-Dollar zu finden. Zwar hat der Euro gestern etwas an Boden verloren, verbleibt aber in seiner Konsolidierung zwischen 1,1705 und 1,1920, die den weiteren Verlauf des Aufwärtstrends derzeit behindert.

Allerdings gab es doch noch einiges an Nachrichten vom Wochenende zu verarbeiten. Dabei wird immer wieder gerne übersehen – trotz der positiv empfundenen Überraschungen bei der Entwicklung am Arbeitsmarkt während der vergangenen drei Monate –, dass seit Ausbruch der Corona-Pandemie immerhin noch 13 Millionen Stellen nicht wieder neu besetzt wurden. Aber das Hauptinteresse der Kommentatoren galt sowieso den am Wochenende erlassenen Dekreten von US-Präsident Donald Trump.

 

Nicht mehr als Erste Hilfe

Und bei „Joe Normal“ mag der Aktionismus Trumps („Der tut was!“) sogar gut angekommen sein, waren doch die Verhandlungen über das neue Stimulus-Paket in den USA zum Wochenende ins Stocken geraten. Nicht zuletzt, weil die Positionen von Republikanern und Demokraten hinsichtlich des Volumens immer noch weit auseinander liegen – die Gebote der beiden Seiten trennten zuletzt 1,4 Billionen USD.

Auch wenn manche Kommentatoren geneigt waren, insbesondere die ökonomisch bedeutsame Executive Order zur Unterstützung der Arbeitslosen mit „besser als nichts“ zu bewerten, ist man sich doch darüber einig, dass es sich nur um eine Art Erste-Hilfe-Maßnahme handeln kann.

 

Zwischen zwei Referenzpunkten

Denn bei der angekündigten wöchentlichen Hilfe für die Betroffenen geht es um eine Hilfe von 400 USD pro Kopf, von denen 100 USD von den einzelnen Bundesstaaten zu erbringen wären. 400 USD – das klingt wie ein Kompromiss zwischen den bislang auf Bundesebene gezahlten 600 USD pro Woche und dem, was die Trump-Administration angeblich selbst eigentlich nur zu zahlen bereit war, nämlich 200 USD.

Allerdings wird schon jetzt deutlich, dass der Anteil der wöchentlichen Hilfe der Bundesstaaten, also besagte 100 USD pro Kopf, mancherorts nicht so ohne weiteres finanzierbar sind. Zumal dem Vernehmen nach die Steuereinnahmen beispielsweise in New York gegenüber dem Vorjahr um 37 Prozent und in Kalifornien gar um 42 Prozent eingebrochen sein sollen.

Und so dürfte nach Schätzung mancher Analysten das Geld für die Zahlung der zusätzlichen staatlichen Arbeitslosenunterstützung, selbst wenn die Finanzierung über die vorhandenen Quellen, etwa über nicht ausgeschöpfte Etats, glatt gehen sollte, nicht viel weiter als einen Monat reichen. Damit kann man den Trumpschen Executive Orders bestenfalls positiv abgewinnen, dass durch sie dem Kongress eine Art Deadline für einen Kompromiss gesetzt wurde.

 

Verschobene rote Linien

Problematischer, wenn auch weniger wichtig für die Finanzmärkte, sind Trumps Dekrete hinsichtlich ihrer rechtlichen Gültigkeit. Denn es bleibt mehr als fraglich, ob der Präsident überhaupt die Macht hat, derartige Dekrete zu erlassen. Aber wer fragt danach in der Krise? Zumal sich niemand damit beliebt machen würde, etwa die Hilfen für Arbeitslose durch ein Gericht ausbremsen zu lassen. Donald Trump scheinen rechtliche Hindernisse sowieso egal zu sein. Vielleicht legt er es sogar darauf an, die US-Bevölkerung an solche scheinbar beiläufigen Übertretungen allmählich zu gewöhnen. Mit der Folge, dass sich die rote Linie zwischen „noch verfassungsgemäß“ und „illegal“ klammheimlich verschiebt. Möglicherweise verschiebt sich so auch der Wahltermin.

Aber es geht um mehr. Denn die Wahrnehmung dessen, was bislang als rechtlich oder ethisch korrekt angesehen wurde, verändert sich peu à peu wegen eben jener Verschiebung des Bezugspunktes zwischen Recht und Unrecht. Genauso wie Gewinne und Verluste nicht absolut, sondern relativ zu einem Bezugspunkt wahrgenommen werden, verhält es sich mit der moralischen Bewertung von „legal“ und „illegal“. Mit der Zeit kann so aus absolut „unrechtmäßig“ relativ „rechtmäßig“ werden.

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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