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Transparenz und Tugendterror

am
10. April 2013

Auch wenn der jüngste Schritt des französischen Staatspräsidenten François Hollande, die Vermögen aller Minister offenzulegen, von manchem Kommentator als Akt der Verzweiflung beschrieben wird, gibt es viele, die einen derartigen Schritt nach dem Schwarzgeldskandal um den ehemaligen Haushaltsminister Jérôme Cahuzac für überfällig halten. Immerhin befürworten 90 Prozent der Franzosen die Ankündigung Hollandes, jede Person, die wegen Steuerbetrug oder Korruption verurteilt wurde, von der Wahl zu einem öffentlichen Amt auszuschließen. Noch vor dem Sommer soll ein Moral-Gesetz verabschiedet werden, aber Premier Jean-Marc Ayrault hatte bereits am Montag sein gesamtes Kabinett dazu aufgefordert, den eigenen Besitz offen zu legen. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass bei Bekanntwerden weiterer Steuerhinterziehungen aus dem französischen Parlament eine derartige Offenlegungspflicht für alle anderen Abgeordneten und Staatsdiener gefordert wird.

Das zurzeit weit verbreitete und durchaus verständliche Bemühen, aller Steuerflüchtlingen habhaft zu werden und die von Ihnen aufgesuchten Oasen trocken zu legen, passt zum Zeitgeist, endlich mit den Exponenten des Kapitalismus abzurechnen und jene für alle Zukunft per strenger Regulierung und Kontrollen an die Kandare zu nehmen. All dies schön verpackt mit dem Motto „soziale Gerechtigkeit“. Es ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet die Beigeordnete Ministerin im Ministerium für soziale Angelegenheiten und Gesundheit, Marie-Arlette Carlotti, als erste fast schon mit vorauseilendem Gehorsam im Internet ihr gesamtes Vermögen en détail der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

Dieser noch so verständliche und durchaus nachvollziehbare Wunsch des Staates und vieler seiner Bürger nach Kontrolle hat natürlich seinen Preis. Nicht nur, weil sich mit der Zeit peu à peu der Referenzpunkt dessen, was an Kontrolle für zulässig gehalten wird, klammheimlich verschiebt. Überwachung im Namen der (sozialen) Gerechtigkeit sei doch legitim, höre ich bereits manchen Mitbürger argumentieren. Nein, ein bisschen zu viel Kontrolle hier, eine Grenzüberschreitung dort – das sei keine Tragödie, wenn man nichts zu verbergen habe, wird so mancher Moralapostel argumentieren. So werden diejenigen, die heute nach Regulierung und Kontrolle schreien, kaum ins Kalkül ziehen, wie schnell sie selbst einmal Objekt einer Überwachung werden könnten. Eine Gefahr, die vor allem von denjenigen Menschen unterschätzt wird, die sich im Glanze ihrer behaupteten Integrität sonnen. Kontrollen ja, aber doch nicht für einen selbst, sondern für die anderen.

Ich möchte jetzt nicht einmal auf den Orwell‘schen Überwachungsstaat rekurrieren, sondern vielmehr die berühmte Bienenfabel heranziehen, die 1705 von dem Arzt und Sozialtheoretiker Bernard Mandeville verfasst wurde und über die ich schon einmal in einem anderen Zusammenhang geschrieben habe. Tatsächlich erinnert der Mandevill‘sche Bienenstaat an unsere aktuelle Gesellschaft, in der sich einerseits arme Menschen vielfach krank arbeiten, während andererseits egoistische Reiche ihren Bedürfnissen (Lastern) ungehemmt nachgehen. Und weil sich die Masse der Arbeitenden betrogen fühlt, wird in der Bienenfabel die Auflösung des Staates beschrieben, so dass sich Tugend aller Orten durchsetzen kann. Es gibt keine Betrügereien mehr, keine Anwälte, die das Recht verdrehen, keine Ärzte mit besseren kaufmännischen denn medizinischen Fertigkeiten und auch keine korrupten Minister. Jeder erfüllt seine Pflicht, wirtschaftet sparsam, ist redlich, und sogar die Politiker leben „genügsam vom Gehalt“[1] . Aber im Bienenstaat sanken mit der neuen Genügsamkeit auch die Bedürfnisse und damit die Nachfrage. Die Preise von Immobilien und Land brachen ein, Handel und Handwerk verfielen – Kunst und Vergnügen? Kein Bedarf! Eine perfekt kontrollierte Welt ohne Wachstum also? Hoffentlich bleibt sie Utopie.



[1] Mandeville, Bernard (1980): Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile, Suhrkamp, 2. Auflage p. 89

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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