am
10. Februar 2014

Nein, ich bin kein Freund von Alice Schwarzer und vieles, was die Frontkämpferin des Feminismus und Oberpriesterin der Moral in den vergangenen Jahren von sich gegeben hat, hat mir nicht gefallen. Kein Wunder, dass auch die Öffentlichkeit über sie hergefallen ist, nachdem ihre Selbstanzeige in Sachen Schweizer Kapitalanlagen bekannt wurde. Verständlich, nachdem man von dieser Ikone der political correctness über viele mediale Kanäle und zahlreiche Talkshows immer wieder den moralischen Zeigefinger vorgehalten bekommt hat. Das ist so, als ob einem jemand immer wieder mentale Verluste unter die Nase hält. Aber wenn dann derjenige selbst eines Vergehens überführt wird, sind diese Verluste plötzlich null und nichtig, worüber man sich fast so wie über einen echten Gewinn freuen kann. Als ob Ethik und Moral nur von der Unbescholtenheit ihres Verkünders abhingen.

Und wer es gar wagte, auch nur eine klitzekleine Lanze für Frau Schwarzer zu brechen, lief sogleich Gefahr, in einen shit-storm zu geraten. Manchmal hatte ich den Eindruck, nicht wenige würden – falls diese Steuerhinterziehungen doch noch strafbar sein sollten – das Urteil gerne höchstpersönlich vollstrecken. Am liebsten würde manch einer Frau Schwarzer sogar das Recht auf einen Verteidiger absprechen. Ein Recht, das jedem Gewaltverbrecher und selbst Mördern zusteht. Aber einer gefallenen Moralistin? Ja, der Volkszorn, die Empörung war gewaltig. Viel weniger aus der Enttäuschung heraus, dass eine moralische Instanz wieder einmal nicht das gehalten, was sie versprochen hat. Vielerorts mag da auch die Erleichterung darüber mitgespielt zu haben, dass es doch viel weniger echte Gutmenschen gibt, als man denkt.

 

Scheinheilige Medien

In den Medien wurde auch immer wieder scheinheilig die Frage gestellt, ob denn auch eine Frau Schwarzer das Recht auf Wahrung des Steuergeheimnisses hätte oder ob man schonungslos über ihren Fall berichten dürfe. Ja, man darf. Ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen. Aber die Frage danach, ob es legal oder zumindest legitim war, das Steuergeheimnis zu verraten, wurde gerade von den aufklärungssüchtig scheinenden Kommentatoren in der causa Schwarzer viel zu selten, wenn überhaupt gestellt. Natürlich sollen Informanten anonym bleiben. Aber durfte man in der Angelegenheit überhaupt Informationen über die Selbstanzeige der Schwarzer an die Presse weitergeben? War es womöglich eine undichte Stelle bei den Finanzbehörden, ein Schweizer Banker oder eine rachsüchtige Freundin: Wer hat den Medien einen Wink gegeben? Bei den ersten beiden würde dies einen Bruch des Steuer- bzw. Bankgeheimnisses darstellen und wäre sogar strafbar, bei der Freundin indes wäre es vor allem ein schwer zu verkraftender Vertrauensbruch.

 

Über das Indiskutable nicht mehr reden wollen

Es ist schon fast beängstigend, wie leichtfertig mit Geheimnissen gerade seit Edward Snowdens Enthüllungen (die ich hier ganz bewusst nicht bewerten möchte) in der jüngsten Zeit umgegangen wird. So sah ich am vergangenen Wochenende auf dem Nachrichtensender n-tv eine Pressekonferenz, bei der die Kanzlerin Angela Merkel noch einmal zu der bei einem Telefonat abgehörten „F***k the EU“- Äußerung von Victoria Nuland befragt wurde. Was war schlimmer, wurde Merkel implizit gefragt: Die verbale Entgleisung der US-Diplomatin oder der Umstand, dass deren Telefon von den Russen angezapft worden war? Die Antwort der Kanzlerin darauf fiel für mich fast schon beängstigend nonchalant aus: „Über die Frage des Abhörens haben [wir ja] ausführlich in Deutschland diskutiert… das ist indiskutabel, da braucht man nicht weiter darüber zu reden“. Doch! Wir dürfen nicht aufhören, darüber zu reden. Natürlich muss man Frau Merkel zugute halten, dass sie sich vermutlich nach dem ersten Schrecken an diese Ungeheuerlichkeit gewöhnt hat. Gewöhnung ist ein zwangsläufiger Prozess, der es auch immer mit sich bringt, dass man zunehmend etwas akzeptiert oder zumindest hinnimmt, was früher womöglich undenkbar gewesen wäre. Ja, es handelt sich um dieselbe Frau Merkel, die  die Äußerung der US-Diplomatin am Vortag noch als inakzeptabel bezeichnet hatte; eine Äußerung, die ohne dass illegale Abhören eines Gesprächs wahrscheinlich überhaupt nie ans Tageslicht gekommen wäre. Benutzen wir alle nicht, vor allen Dingen wenn wir uns unbeobachtet wähnen, manchmal Ausdrücke, die wir nie in der Öffentlichkeit sagen würden?

 

Schnelle Gewöhnung an Unerhörtes

Noch mehr stört mich aber, dass die Gewöhnung der Menschen an das gestern noch Unerhörte, das Verbotene eines Überwachungsstaates, schon sehr weit fortgeschritten ist. Nein, ich spreche nicht von den Ermittlungsarbeiten, die für die Aufdeckung und Verhinderung lebensbedrohlicher Kapitalverbrechen notwendig sind. Sondern davon, dass Abhören, heimlich Kopieren, ja, der Verrat am Mitmenschen hoffähig geworden ist. Wenn es zur Normalität wird, dass ein Staat über alles, was man tut, Aufzeichnungen machen und speichern darf, obwohl dies illegal ist, wenn man über das Indiskutable nicht mehr weiter zu reden bereit ist, wird auch das gegenseitige Ausspähen im privaten Bereich eines Tages normal werden. Vor allem, wenn einem großen Teil der Bevölkerung – wie unlängst für die USA in einer Studie ermittelt – kaum mehr Geld für den Konsum zur Verfügung steht[1], muss man sich doch fragen, was diejenigen, die der großen Masse, ja am besten jedem Menschen auf der Erde, einen Tablet Computer mit eingebauter Kamera zum Schleuderpreis oder vielleicht sogar kostenlos zur Verfügung stellen wollen, dafür als Gegenleistung haben möchten. Denn das einzige, was die Armen dafür noch anbieten könnten, wäre deren Privatheit. Und plötzlich ist der Orwell‘sche Teleschirm aus dem Roman „1984“ tatsächlich bei uns im Wohnzimmer gelandet. Ganz nah. Ob dann unser Nachbar ins Gefängnis kommt, angezeigt von der eigenen kleinen siebenjährigen Tochter, weil er im Schlaf „Nieder mit dem großen Bruder!“ gemurmelt hat? Was heute noch undenkbar scheint, droht immer wahrscheinlicher zu werden, sobald wir beginnen, fast schon gelangweilt das bislang Indiskutable mehr und mehr zu akzeptieren.



[1] Cynamon, Barry Z. and Fazzari, Steven M. (Jan 23rd, 2014): Inequality, the Great Recession, and Slow Recovery, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2205524

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE
1 Kommentar
  1. Antworten

    HW

    11. Februar 2014

    Ein wichtiger Aspekt, der mir ebenfalls immer wieder aufgestoßen ist: Es ist *eine* Sache, anzunehmen, dass Geheimdienste und andere alles mögliche abhören können, und das auch tun. Aber es ist eine *ganz andere* Sache, dies – nur weil es vorkommt – als normal zu betrachten und zur Tagesordnung überzugehen. Ja, sogar solche als naiv zu bezeichnen, die sich darüber empören…
    Man schafft ja auch nicht die Paragraphen gegen Korruption ab, nur weil sie immer wieder vorkommt.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Wichtiger Hinweis
Zurzeit werden im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken und Chatgruppen, mein Foto und mein Name im Zusammenhang mit Aktientipps/Finanzanlagen, auch unter Angabe einer falschen Mobilnummer, missbräuchlich verwendet. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich keinerlei Anlageempfehlungen für irgendwelche Finanzprodukte, Finanzanlagen oder bestimmte Wertpapiere abgebe.
Archiv