Behavioral Ethics Behavioral Living

Zwischen Selbstlosigkeit und bestrafter Gier

am
14. Februar 2017

Ich liebe Ultimatum-Spiele so sehr, dass ich sie fast immer bei meinen Vorträgen zur Behavioral Finance mit Zuhörern als Probanden vorstelle. Unter anderem um zu zeigen, dass Menschen keine reinen Gewinnmaximierer sind. So simuliere ich in einer Spielsituation, dass ein Teilnehmer 10.000 € bekommen soll, aber nur unter der Bedingung, dass er diesen Betrag mit einem anderen Spieler teilt. Dabei darf er bestimmen, wie viel er selbst und wie viel der Andere erhält. Stimmt dieser der Aufteilung zu, bekommen beide ihr Geld. Lehnt der Mitspieler indes die vorgeschlagene Aufteilung ab, gehen beide leer aus.

Im Laufe der Jahre habe ich dieses Spiel bestimmt hunderte Male gespielt, aber niemals ist es vorgekommen, dass ein Zuhörer gemäß der ökonomischen Standardtheorie 9999,99 € für sich behalten und seinem Mitspieler nur die kleinstmögliche Geldeinheit von einem Cent angeboten hätte. Stattdessen entscheiden sich die meisten für eine Fifty-Fifty-Lösung, weil diese als besonders fair empfunden wird. Obwohl von vornherein klar ist, dass es sich nur um einen hypothetischen Betrag von 10.000 € handelt, gehen nur wenige so weit, mehr als die Hälfte des Spielgeldes für sich zu beanspruchen. Möglicherweise weil sie vor den anderen Zuhörern nicht als habgierig oder egoistisch dastehen wollen.

In den Fällen, in denen ein Entscheider mehr als die Hälfte des Geldes für sich in Anspruch nehmen wollte, waren die Mitspieler meist nicht bereit, der vorgeschlagenen Verteilung zuzustimmen, sofern ihr Anteil nur ein Drittel des Geldes oder sogar weniger betrug.

Doch ist es durchaus auch schon vorgekommen, dass Menschen bei der Verteilung des Geldes ihren Mitspielern mehr als die Hälfte zugedacht haben. Um sich der Zustimmung des anderen völlig sicher zu sein – eine Verhaltensweise, die vom Publikum meist belächelt wird.

 

Risikoaversion bis zur Selbstlosigkeit

Nun hatte ich unlängst das Vergnügen, dieses Spiel im Rahmen eines Vortrages bei Vertretern einer Non-Profit-Organisation mit karitativem Charakter durchzuführen. Und ich war tatsächlich überrascht, dass der Verteiler des Geldes vorschlug, alles seinem Gegenüber zu überlassen und nichts für sich zu behalten. Obgleich ich zunächst den Verdacht hatte, das Spiel sei möglicherweise nicht verstanden worden, wurde mir spätestens bei der Antwort des Verteilenden, er wolle kein Risiko eingehen [das Risiko, dass sein Gegenüber ablehnen könnte] klar, dass es also keineswegs die reine Selbstlosigkeit war, die zu einem derartigen Verhalten führte.

Kritiker werden ohnehin einwenden, dass es sich ja nur um ein Spiel mit hypothetischen Einsätzen handelt und die Realität mit echtem Geld wahrscheinlich ganz anders aussehen würde. Eine wissenschaftliche Studie[1] zeigt jedoch, dass dieses Verhalten keineswegs auf Spiele ohne echtes Geld beschränkt bleibt. Tatsächlich gibt es keinen Hinweis darauf, dass das Verhalten der Verteilenden sich selbst bei steigenden monetären Einsätzen tatsächlich ändern würde. Allerdings gilt das nicht für deren Gegenspieler, die sich bei steigenden Einsätzen auch mit geringeren zugedachten Geldbeträgen zufriedengaben. Interessant in diesem Zusammenhang: Auch bei den Teilnehmern dieser Studie gab es immer wieder vereinzelt Fälle, bei denen ein Verteiler komplett auf seinen möglichen, manchmal nicht unbeträchtlichen Geldanteil verzichtete.

Es scheint also tatsächlich noch Menschen zu geben, denen Geld wirklich nichts bedeutet. Aber andererseits gibt es selbst in karitativen Kreisen nicht nur selbstlose Menschen. Das wurde mir spätestens klar, als ich bei einem zweiten Spiel die Erfahrung machen musste, dass eine fair anmutende Fifty-Fifty-Verteilung vom Mitspieler schlichtweg abgelehnt wurde. Die Hälfte war ihm nicht genug. Also verzichtete er durch die Verweigerung seiner Zustimmung lieber gleich auf alles und bestrafte so auch noch seinen Mitspieler. Anders ausgedrückt: Es gibt Menschen, die bereits sind, etwas zu bezahlen, damit Andere Geld verlieren.

 

[1] Cameron, Lisa A. (1999): Raising the Stakes in the Ultimatum Game: Experimental Evidence from Indonesia, Economic Inquiry, Vol. 37, No, 1, January 1999, pp. 47-59

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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