Behavioral Living Politik Wirtschaft

Kondome auf Abruf

am
22. November 2010

Endlich hat die irische Regierung beschlossen, die Hilfe der EU und des IWF anzunehmen, nachdem sie wochenlang entweder derlei Maßnahmen nicht zu wollen oder noch nicht einmal zu benötigen schien. Auch jetzt noch versichern uns einige Minister, es handele sich dabei um nicht mehr als einen Kreditrahmen auf Abruf. Für alle Fälle sozusagen. Offenbar hat die Regierung überhaupt nicht  die Absicht, diesen tatsächlich in Anspruch zu nehmen – Hauptziel ist anscheinend lediglich, die blank liegenden Nerven der Finanzmärkte zu beruhigen. Trotzdem wurde der irische Finanzminister immerhin zitiert, er habe um einen sehr großen Kreditrahmen ersucht.

Das ganze Szenario ähnelt sehr stark dem, was sich in Griechenland während des Sommers zugetragen hat. Auch von der griechischen Regierung wissen wir, dass sie Geld angenommen hat. Geld das sie eigentlich nicht gewollt oder gar benötigt hatte. Was wird geschehen, wenn das nächste mit Schulden überladene EU-Land in Schwierigkeiten gerät? Rettungsaktionen sind mittlerweile so „normal“, dass die nächste Krise nicht mehr wegen schlechtem Finanzmanagements eines Staates losgetreten wird. Nein, die nächste Krise wird ausgelöst, wenn sich die Gemeinschaft der Helfer plötzlich weigern sollte, noch einen weiteren Bailout durchzuziehen.

So gesehen war es fast schon ein unglücklicher Zufall, dass der Papst am gleichen Tag seinen neuen Standpunkt zum Gebrauch von Kondomen verkündete. Weil diese Koinzidenz zu einem wenig schmeichelhaften Vergleich geradezu einlädt. Denn Benedikt XVI. führte ebenfalls so etwas wie eine Fazilität auf Abruf ein: Kondome dürfen nunmehr aus Gründen der moralischen Rechtfertigung unter ganz bestimmten Umständen verwendet werden. Vermutlich wird man den Heiligen Vater, eigentlich bekannt als strikter Fundamentalist, ab jetzt auch in anderen Bereichen zu Zugeständnissen drängen.

Vielleicht sollte man gerade in der Politik nicht nur auf das Ergebnis einer einzelnen Entscheidung achten, sondern auch darauf, ob diese einen Einfluss auf die geltenden Normen hat.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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