Dollar am Morgen

Ist der Euro wirklich bullish?

am
10. Juli 2020

EUR USD (1,1270)             Auch wenn der Euro zurzeit nicht recht vom Fleck kommt, geschweige denn, dass er einen schönen kurzfristigen Aufwärtstrend ausbildet, sorgt er doch mancherorts zurzeit für Aufmerksamkeit. Und so widmete sich gestern ein Kommentar der Gemeinschaftswährung[1]. Darin werden zum einen politische und ökonomische Faktoren beschrieben, die für einen festen Euro sprechen könnten. Insbesondere wird der Optimismus der Akteure erwähnt, weil die EU im Vergleich zu den USA offensichtlich besser mit der Bekämpfung des Covid-19-Virus zurechtkommt. Auch die Gespräche über den gemeinsamen „Wiederaufbau-Fonds“ und die relativ zügige Umsetzung der Lockdowns werden als Treiber einer möglichen Euro-Rallye gesehen. Letztlich traut man der EU eine schnellere ökonomische Erholung zu als den USA.

 

Nicht nur ökonomische Argumente

Und als weiteres Indiz für einen demnächst steigenden Euro wird die Entwicklung der Risk-Reversals im Optionshandel angeführt. So musste für EUR/USD-Calls gegenüber vergleichbaren Put-Optionen auf Sicht von sechs Monaten vorgestern zum ersten Mal seit langem wieder ein Aufschlag bezahlt werden – eine stetig positive Entwicklung seit dem Stimmungstief im März dieses Jahres. So weit, so gut.

Im zweiten Teil des Kommentars geht es dann in erster Linie um Markttechnik, um mögliche Indizien dafür, dass es mit dem Euro auch tatsächlich nach oben gehen könnte. Nein, nicht dass die Kommentierung esoterisch würde. Und bislang war mir auch bekannt, dass sich vor allem Finanzmarkt-Kommentatoren besonders gerne auf die 200-Tage-Linie berufen.

 

Ein Griff in den technischen Zauberkasten

Dass von diesem gleitenden Durchschnitt kaum Prognosekraft für den künftigen Kursverlauf einer Währung abgeleitet werden kann, habe ich schon diverse Male hinlänglich ausgeführt (ganz besonders HIER). Es mag tatsächlich eine Daumenregel geben, der zufolge ein Überqueren eines gleitenden Durchschnitts durch den Tagesschlusskurs von unten nach oben als Kauf- bzw. von oben nach unten als Verkaufssignal gewertet wird. Dahinter steckt wohl die Absicht, größere Trends auszunutzen. Während Phasen ausgedehnter Seitwärtsbewegungen können solche Durchschnittslinien naturgemäß häufiger überquert werden und damit zu einer ganzen Reihe von kostspieligen Fehlsignalen führen.

 

Die 200-Wochen-Linie

Nun verweist der Artikel auf ein – zumindest für mich – neuartiges Signal. Da ist plötzlich von einer gleitenden 200-Wochen-Linie die Rede. Und sollte die Gemeinschaftswährung in dieser Woche tatsächlich „überzeugend“ oberhalb von 1,1332 (dort liegt der 200-Wochen-Durchschnitt) schließen, wäre dies als ein weiteres bullishes Signal zu werten. Die letzte Überquerung der 200-Wochen-Linie fand übrigens vor gut einem Jahr statt. Die Linie verläuft übrigens seit September 2018 fast waagerecht, also seitwärts, und ist damit schon deshalb als Trendfolge-Handelssignal völlig ungeeignet.

Nein, ich bin zurzeit auch kein Euro-Pessimist. Tatsächlich bleibt die Gemeinschaftswährung stabil, solange sie sich oberhalb von 1,1250 (darunter befindet sich nur mäßige Nachfrage!) hält. Aber die gestrige Kursentwicklung hat wieder einmal gezeigt, dass die Gemeinschaftswährung derzeit zwar immer wieder kleine Impulse nach oben setzt, etwaige Kursgewinne aber umgehend wieder zunichte gemacht werden. Und dies ist der Grund, weswegen wir dem Euro derzeit noch nicht einmal einen kurzfristigen Aufwärtstrend bescheinigen möchten.

 

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

 

[1] https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-07-09/europe-s-virus-response-has-put-the-euro-in-a-win-win-situation?srnd=premium-europe&sref=GCxgXn1i

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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