Behavioral Living

Hummer für umme

am
5. Dezember 2012

Dass ich viel auf Reisen unterwegs bin, fand an dieser Stelle schon mehrfach Erwähnung. Neulich, ich hielt mich geschäftlich wieder einmal in einer anderen Stadt auf, hatte ich das Glück, beim Einchecken in ein renommiertes Hotel von meinem Reiseveranstalter einen Verzehrgutschein in Höhe von satten 85 Euro vorzufinden. Das ist ein Betrag, für den man selbst in einem 5-Sterne-Hotel etwas sehr Anständiges zu essen bekommen kann. Daher fragte ich mich sofort, wo denn der Haken an diesem generösen Geschenk – jenseits von allen Kundenbindungsversuchen – sein könnte, denn, wie mein Vater stets zu sagen pflegte: „Käse umsonst gibt es nur in der Mausefalle.“ Aber es reizte mich, herauszufinden, was wohl hinter dieser Großzügigkeit stecken könnte.

Am Ende eines langen Arbeitstages begab ich mich also abends in das Gourmetrestaurant des Hotels. Richtig großen Hunger hatte ich nicht, aber einfach verfallen lassen wollte ich den Gutschein nun auch nicht. Deshalb suchte ich mir etwas Ausgefallenes von der Speisekarte aus: Caesar’s Salad mit einem halben Hummer, gefolgt  von frisch zu bereitetem Tartar vom Charolais-Rind, begleitet von 10 Gramm Malussol Kaviar – das klang dekadent, aber dennoch interessant. Und so stieg meine Stimmung bereits beim Studium der Karte. Gleichzeitig hatte ich den Wert des Gutscheins zusammen mit einer Flasche Mineralwasser gefühlsmäßig richtig gut ausgereizt: In der Sprache der Verhaltensökonomie befand ich mich fast am Referenzpunkt meines Geschenks, der Punkt, der normalerweise die Grenze zwischen wahrgenommenem Gewinn und Verlust darstellt. Aber ich wollte mich an diesem Abend wirklich nicht mit derlei Theorie herumschlagen, sondern einfach nur schlemmen und genießen. Und dazu gehört für mich ein Glas Rotwein. Aber Rotwein zu Hummer? Sollte ich vielleicht den Salat wieder streichen, damit ich mir den Wein ohne Zuzahlung aus der eigenen Tasche leisten konnte? Zugegeben, jetzt hatte ich ein Luxusproblem! „Darf ich Ihnen etwas zum Aperitif servieren?“, unterbrach ein Kellner meine Gedankenspiele, „vielleicht ein Glas Champagner?“ Das wäre der Situation angemessen, sagte ich mir, schlug auf das Angebot ein und bestellte.  Und weil man ja bekanntlich auf einem Bein nicht stehen kann, bestellte ich, während der Kellner auf einem Servierwagen die Zubereitung meines Tartars zelebrierte, leicht euphorisiert und in Vorfreude auf die baldigen Gaumengenüsse auch noch das Glas Rotwein.

 

Im siebten Gourmethimmel

Zum Nachtisch gönnte ich mir dann auch noch einen Espresso und fühlte mich ein paar Minuten lang wie im siebten Gourmethimmel. Ein perfekter Tagesabschluss, wäre da nicht die Rechnung gewesen, die mittlerweile den Wert des Gutscheins deutlich überschritten haben dürfte. Aber ich muss ja nicht sofort, sondern erst am kommenden Morgen beim Check-out bezahlen, beruhigte ich mich selbst. Also nicht genau hingucken, sondern nur schnell unterschreiben, dachte ich mir, um mir meine blendende Laune nicht durch die nackten Zahlen auf der Rechnung verderben zu lassen.

Am nächsten Morgen bat ich beim Check-out eingedenk meiner Kenntnisse zur mentalen Kontoführung darum, das Abendessen auf einem gesonderten Beleg auszuweisen. Und darauf stand dann das Resultat meiner exquisiten Völlerei geschrieben, ein Verlust, den ich nun (und sei es nur per Kreditkarte) begleichen musste, aber reduziert um den Wert des Gutscheins. Und die erneute Freude über diesen Betrag minderte meine mentale Katerstimmung beträchtlich. Daher vergaß ich alsbald, dass ich am Abend zuvor etwas bestellt hatte, was ich mir ohne tätige Mithilfe von American Express normalerweise wohl kaum geleistet hätte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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