Gesellschaft Politik Wirtschaft

Herumgeschubst

am
27. März 2015

Ganz neu ist das Thema „Nudging“ nun wirklich nicht mehr. Auch ich selbst habe mich dazu bereits mehrfach geäußert (HIER, HIER und HIER). Jetzt hat sich auch Dieter Schnaas von der Wirtschaftswoche (unter dem Titel „Gütiger Himmel!“[1]) Gedanken darüber gemacht, wie die Politik mithilfe der Verhaltensökonomie den freien Bürger zum psychopolitischen Objekt degradiert. Damit gesellt sich Schnaas zu der großen Gruppe von traditionellen Volkswirten, die sich gegen eine Politik des so genannten Anstupsens („Nudging“), also gegen einen solchen sanften Paternalismus wehren.

Darunter versteht man die Methode, in der Politik mit geschicktem Anreizen und Argumenten den Bürgern einen Anstoß in die richtige Richtung zu geben, damit sie „bessere“ Entscheidungen treffen. Gleichzeitig bleibt die Freiheit des Einzelnen erhalten, zumal der sanfte Paternalismus den Entscheidern keine Vorschriften macht, was sie zu tun haben. Allerdings kann die beim Nudging häufig benutzte Technik, einen Sachverhalt nicht zu verändern, aber anders darzustellen, großen Einfluss auf das subjektive Empfinden der Menschen ausüben. Gerade weil Menschen nun einmal Verluste schwerer bewerten als Gewinne in gleicher Höhe, spielt es eine wesentliche Rolle, ob man ein Glas als halb voll oder halb leer präsentiert. Mithin als relativen Gewinn oder relativen Verlust.

Natürlich mag Dieter Schnaas – möglicherweise sogar mit einigem Recht – bemängeln, dass Volksvertreter mit dem Geld ihrer Bürger Verhaltensexperten einstellen, denen sie dann den Auftrag erteilen, diejenigen, die ihre Gehälter bezahlen, in gewisser Weise zu „manipulieren“. Und weil die so genannten Nudge-Apologeten angeblich auch noch gleich den Homo Oeconomicus zu Grabe getragen haben, gelten sie ihm als besonders üble Zeitgenossen. Allerdings ist dessen „Leiche“ nicht erst seit dem Ausbruch der Finanzkrise „zur Schändung freigegeben“ wie der Autor des Essays es etwas sehr makaber ausdrückt.

 

Aufklärung statt Hexerei

Schon als der Nobelpreisträger Daniel Kahneman gemeinsam mit seinem damaligen Kollegen Amos Tversky vor mehr als 30 Jahren beweisen konnte, dass Menschen mit Verlusten und Gewinnen unterschiedlich umgehen, hätte das dem künstlichen Konstrukt des Homo Oeconomicus einen Todesstoß versetzen müssen. Denn es ist die für nahezu alle Menschen typische Verlustaversion, die dafür verantwortlich ist, dass man nicht gerne ein Gut gegen ein anderes eintauschen möchte, auch wenn beide gleichwertig sind. Der Verlust dessen, was man hergibt, wiegt schwerer als die Freude über das, was man dafür bekommt, und dies ist ein Grund, weshalb eine große Mehrheit von Entscheidern den Status quo gegenüber einer aktiven Entscheidung bevorzugt. Und genau diese Erkenntnis kann man sich zunutze machen, wenn man Menschen zu für sie „besseren“ Entscheidungen anstupsen möchte.

Was jedoch bei der ganzen Diskussion unter den Tisch fällt, bleibt die Tatsache, dass selbst der Status quo einst einmal festgelegt worden sein muss. Und damit verbunden die Fortführung einer früheren Entscheidung, die auf der Präsentation eines bestimmten Sachverhalts beruht. Ein Sachverhalt, der etwa von Marketingstrategen bewusst und womöglich sogar manipulativ dargestellt wurde, oft ohne dass die Betroffenen etwas davon gemerkt haben.

Wer jedoch Behavioral Economics mit der Methode einer gezielten Sinnestäuschung gleichsetzt, handelt nicht nur polemisch. Denn diese immer noch recht junge Wissenschaftsrichtung beinhaltet weit mehr als die Strategie des Nudging und als sanften Paternalismus. Wer sich außerdem darüber beschwert, dass Nudging nur das gemeine Ausnutzen einer Illusion sei und die Erkenntnisse der Behavioral Economics als zersetzend empfindet und als vermeintliche Gralslehre lächerlich zu machen versucht, verpasst eine wichtige Chance. Denn das beste Gegenmittel gegen die beklagte Einflussnahme des Staates ist immer noch Aufklärung, und diese sollte man besser betreiben, statt die wichtigen Erkenntnisse der Wirtschaftspsychologie als Hexerei und faulen Zauber zu denunzieren.

Und zur Aufklärung, wie Menschen tatsächlich wahrnehmen und entscheiden, tragen die Erkenntnisse der Behavioral Economics entscheidend bei.

 

 

[1] Wirtschaftswoche Nr. 13 vom 23. März 2015

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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