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„Böse“ Schubser

am
6. März 2013

Unlängst habe ich mich richtig gefreut, als ich einem Beitrag von Professor Dr. Britta Kuhn im Wirtschaftsblog Ökonomenstimme[1] über den Kampf vieler traditioneller Volkswirte gegen eine Politik des so genannten „Anstupsens“ lesen konnte. Diese Methode findet vor allen Dingen seit dem Erscheinen des Buches „Nudge“ von Richard Thaler und Cass Sunstein aus dem Jahre 2008 immer mehr Anhänger, obwohl sich viele traditionelle Volkswirte gegen einen solchen libertären Paternalismus wehren. Dabei geht es darum, dass die Politik mit geschicktem Setzen von Anreizen und Argumenten den Bürgern einen Schubs in die richtige Richtung gibt, damit sie „bessere“ Entscheidungen treffen. Denn wie sich immer wieder zeigt, treffen viele Menschen, sobald sie auf sich selbst gestellt sind, Entscheidungen, die man als nicht gerade optimal bezeichnen würde. Zumal sie sich dabei über ihre Motive nicht immer im Klaren sind. Mit anderen Worten: Menschen sind leicht beeinflussbar und verlieren mitunter auch den Überblick. Schon nach kurzer Zeit bereuen viele, was sie heute konsumiert haben. So wie ich auch. Zurzeit halte ich wieder mal Diät, und nachdem mir gestern ein kleiner Ausrutscher in Form einer Kaloriensünde widerfuhr, hatte ich heute den ganzen Tag ein schlechtes Gewissen. Oder man denke an den Sparer, der fürs Alter regelmäßig einen bestimmten Geldbetrag zurücklegt, dieses Programm aber wegen der niedrigen Nominalverzinsung kurzum unterbricht und sich stattdessen einen langen gehegten Wunsch gönnt. Aber das neue Smartphone oder die neuen Lautsprecherboxen verlieren viel schneller ihren Reiz, als es sich der stolze Besitzer zuvor ausgemalt hatte.

 

Libertärer Paternalismus lässt Bürgern freie Hand

Beim so genannten Anstupsen versucht die Politik eine Entscheidungssituation so zu gestalten, dass das Handeln der Menschen in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Zugleich bleibt aber die Freiheit des Einzelnen erhalten: Der libertäre Paternalismus, an sich ein Paradox, macht den Entscheidern also keine Vorschriften. Zwar kann eine leicht veränderte Darstellung ein und desselben Sachverhalts einen enormen Einfluss auf das subjektive Empfinden der Bürger haben, aber letztlich bleibt die Freiheit eines jeden bei der Wahl einer Handlungsoption bewahrt. (Mehr dazu hier und hier) Und da Menschen nun mal Verluste schwerer bewerten als Gewinne, spielt es eine wesentliche Rolle, ob man ein Glas als halb voll oder halb leer präsentiert – als relativen Gewinn oder als relativen Verlust.

Die für nahezu alle Menschen typische Verlustaversion führt aber auch dazu, dass man nicht gerne ein Gut gegen ein anderes eintauschen möchte, auch wenn beide gleichwertig sind, eben weil der Verlust dessen, was man hergibt, schwerer wiegt als die Freude über das, was man dafür bekommt. Deswegen bevorzugen so viele Menschen den Status quo und bleiben lieber passiv, als aktiv eine Entscheidung zu treffen, die man womöglich hinterher noch bereuen könnte. Eine Neigung, die man sich als „Nudger“ zunutze machen kann.

Was jedoch bei der ganzen Diskussion darüber, ob der libertäre Paternalismus gut ist oder nicht, von Befürwortern wie Kritikern gerne übersehen wird, ist die Tatsache, dass auch der Status quo und die damit verbundene Fortführung vergangener Entscheidungen auf einer bestimmten oder gelenkten Präsentation eines Sachverhalts beruht. Vielleicht wurde auch hier schon mit einem „Schubs“ nachgeholfen. Marketingstrategen gibt es nicht erst seit gestern.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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