Berater-Bashing
Las unlängst in der Zeitung Die Welt[1] einen Artikel, der unter der etwas polemisch anmutenden Überschrift „Volkswirte experimentieren im Politik-Labor“ den Eindruck zu erwecken versuchte, dass Politiker und am Ende auch die Bürger Versuchskaninchen der Verhaltensökonomen wären. Vor allem die Behauptung im Untertitel, wonach diese seit Jahren Barack Obama und David Cameron nur mit mäßigem Erfolg beraten hätten, löste bei mir doch erhebliches Kopfschütteln aus. In dem Artikel von Martin Greive geht es um die beiden US-Verhaltensökonomen Richard Thaler und Cass Sunstein, die offenbar wegen des großen Erfolges ihres gemeinsamen Konzepts und Buches mit dem Titel Nudge beim britischen Premier bzw. beim US-Präsidenten so großen Eindruck hinterlassen hatten, dass sie zu deren Beratern ernannt wurden.
Beim Nudging (was so viel wie „anstupsen“ bedeutet) geht es darum, anstehende Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, Anstöße, die besonders gerne von Politikern gegeben werden. So kann eine leicht veränderte Darstellung ein und desselben Sachverhalts enormen Einfluss auf das subjektive Empfinden der Bürger haben. Denn da die Menschen Verluste mehr als doppelt so stark wie Gewinne in gleicher Höhe erleben, spielt es eine enorme Rolle, ob man ein Glas als halb voll, also wie einen Gewinn, oder halb leer, also wie einen Verlust beschreibt. Anders ausgedrückt: Die Verlustaversion führt dazu, dass Menschen nicht gerne ein Gut gegen ein gleichwertiges anderes Gut eintauschen, denn der Verlust dessen, was man hergeben soll wiegt schwerer als der Gewinn dessen, was man dafür bekommt. Dies ist auch der Grund, warum die meisten Menschen Veränderungen in ihrem Leben nicht allzu sehr schätzen und dazu neigen, Gewohntes nicht zu verändern, also lieber am Status quo festhalten. Und wenn es um Entscheidungen geht, werden vorgegebene Handlungsoptionen bevorzugt.
Angewandte Behavioral Economics
Und so ist es den Beratern des britischen Premiers David Cameron zu verdanken, dass seit dem 1. Oktober 2012 dortzulande Arbeitnehmer automatisch in die betriebliche Altersvorsorge eingegliedert werden[2]. Dabei hatte sich der Ökonom Richard Thaler eben jene Erkenntnisse über die unterschiedliche Bewertung von Gewinnen und Verlusten zunutze gemacht. Denn an einer aktiven Entscheidung für eine Altersvorsorge stört die meisten Menschen, dass sie ihren gegenwärtigen Konsum einschränken müssen, um in Zukunft irgendwann einmal einen höheren Lebensstandard genießen zu können. Ein Arbeitnehmer, der indes automatisch zu einem Programm zur Altersvorsorge geleitet wird, also passiv bleibt, muss eine solche Entscheidung gar nicht treffen. Mit einer ausdrücklichen Ablehnung des Programms dürfte er indes denselben Sachverhalt genau umgekehrt wahrnehmen: Einbußen an Lebensstandard im Alter, verbunden natürlich mit einem höheren verfügbaren Einkommen in der Gegenwart. Und er hätte dabei das Gefühl, sich gegen eine geltende Norm zu entscheiden.
Geringe Kosten, großer Erfolg
Mit dieser so genannten „Opt-out“ Regelung, mit der man sich also aktiv gegen eine Vorgabe entscheiden muss, dürfte die britische Regierung eine wesentlich größere Anzahl ihrer Bürger dazu bringen, mehr fürs Alter zurückzulegen, als sie dies ohne diesen „Anstupser“ getan hätten. Die Kosten für dieses Programm sind übrigens für die unter Sparzwang stehende Regierung vergleichsweise gering, wenn man bedenkt, wie effektiv in diesem Fall bereits ein einziges richtig formuliertes Anschreiben an die zu Versichernden gewesen sein dürfte.
Doch zurück zum Beitrag von Martin Greive, der – im Widerspruch zur Unterzeile der Überschrift – in seinem Text selbst den Beleg erbringt, wie erfolgreich die Verhaltensökonomen in Großbritannien gearbeitet haben. Gleichwohl wirft er sie in einen Topf mit ihrem US-Pendant, dem Beraterteam des Präsidenten unter Leitung von Cass Sunstein, der im August dieses Jahres als Chef der US-Regulierungsbehörde zurücktrat. Zum einen dürfte es in Großbritannien aufgrund der politischen Struktur des Landes wesentlich leichter als in den USA sein, Gesetze auf den Weg zu bringen. Zum anderen zeichnen sich die im Artikel genannten positiven Beispiele angewandter Verhaltensökonomie dadurch aus, dass sie auf Erkenntnissen fußen, die bereits in vielen Experimenten von Wissenschaftlern bestätigt wurden.
Derartige Beweise vermisse ich jedoch, wenn auf Anraten der Ökonomen in den USA die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln vergrößert und ablenkende Werbeschilder auf Autos verboten werden sollen. Denn um dergleichen zu empfehlen, muss man kein Verhaltensökonom sein. Genauso wenig wie für das Gesetz, das Schülern in den USA ein gesünderes Mittagessen vorschreibt. Dessen Entwurf fiel dennoch in die Zuständigkeit eines Chefs der Regulierungsbehörde, der, so Barack Obama, immerhin an einer Reihe „historischer Errungenschaften“ im Interesse des amerikanischen Volkes mitgewirkt habe[3]. So hatten die Berater des US-Präsidenten beispielsweise eine Rentenreform vorgeschlagen, die allerdings nie umgesetzt wurde. Doch sollte man dieses Scheitern eher den politischen Entscheidern als der Verhaltensökonomie zur Last legen, deren Vertreter sicherlich eine etwas sorgfältigere Beurteilung als die durch Martin Greive verdient hätten.
[1] Ausgabe vom 28. Oktober 2012
[2] Das Gesetz soll zunächst nur für die Belegschaft großer Unternehmen gelten