Dollar am Morgen

Gute Anker, schlechte Anker

am
15. Januar 2021

Die korrektive Erholung des US-Dollar hat sich gestern fortgesetzt und letztlich den Euro mit zutiefst 1,2110 auf den niedrigsten Stand seit dem 10. Dezember gedrückt. Das alles geschah, bevor die neuesten Zahlen zu den Erstanträgen auf Arbeitslosenhilfe (Woche per 8. Januar) in den USA publiziert wurden. Nun sind 965 Tsd. Erstanträge noch keine Million, aber es wird, wie auch gestern, in den Medien gern aufgerundet. Aber abgesehen davon, mag die Zahl vor allen Dingen deshalb schockiert haben, weil sie die Konsens-Erwartung der Ökonomen von rund 785 Tsd. Anträgen – nichts anderes als ein Anker – deutlich übertraf; selbst die pessimistischste Prognose lag nur bei 875 Tsd. Man könnte jetzt wie mancher Kommentator noch weitere negative Bezugspunkte anführen, um zu „beweisen“, wie schlecht – vor allen Dingen im Kontext mit dem Arbeitsmarktbericht vom Dezember – diese Daten sind.

 

Das 2 Billionen Dollar Preisschild

Aber Gott sei Dank gibt es in den USA ja das Stimulus-Programm, das der designierte Präsident Joe Biden gestern Nacht vorgestellt hat. Und auch dort wurde im Voraus für das Volumen dieses Pakets ein Anker gesetzt, der einem Medienbericht zufolge bei 2 Billionen USD liegen sollte. Am Ende stellte Joe Biden ein Programm mit einem Volumen von 1,9 Billionen USD vor, nur unwesentlich weniger. Dabei muss man allerdings davon ausgehen, dass jener Betrag am Ende nicht so hoch ausfallen wird, weil die US-Demokraten – man plant ein Paket, das im Senat zumindest die Zustimmung von zehn Republikanern bekommt, um langwierigen Diskussionen[1] aus dem Weg zu gehen – Kompromisse eingehen werden müssen. Auch in der eigenen Partei (vgl. auch meine Kommentare HIER und HIER).

 

Der 2.000 USD Anker

Das Einzige, was wohl einer breiten überparteilichen Mehrheit sicher scheint, sind die einkommensabhängigen 2.000-USD-Schecks, als Hilfe für die US-Bürger. Auch bei diesen 2.000 USD handelt es sich um einen Anker, der bereits im vergangenen Jahr gesetzt wurde und an den sich die meisten US-Bürger schon längst gewöhnt haben. Dabei war mir bis gestern immer noch nicht klar, ob die bereits im Rahmen des vergangenen Stimulus-Pakets unter dem scheidenden Finanzminister Steven Mnuchin zugesagten 600 USD pro Kopf auf die 2000 USD angerechnet werden. Das würde nämlich für manchen Bürger nur einen Betrag von 1.400 USD bedeuten und wäre verglichen mit dem Bezugspunkt von 2.000 USD mental ein herber Verlust. Nun ist es genau so geplant.

 

Lockdown extrem

Hierzulande versucht man in Sachen Covid-19 Krise ebenfalls Anker zu setzen. So ist seit einigen Tagen zu vernehmen, dass der derzeitige Lockdown möglicherweise bis Ostern verlängert wird, was zumindest den Effekt hat, dass eine derartige Maßnahme, sofern sie später offiziell verkündet werden sollte, keine Überraschung mehr darstellen würde. Auch dass gestern kolportiert wurde, die Lockdown-Schraube könne noch stärker und bundesweit angezogen werden, bis hin zu Ausgangssperren und eventuell sogar bis zu einer Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs, kann als Anker begriffen werden, der sich unweigerlich in den Köpfen festsetzt. Auch wenn Dementi folgen sollten. Sollte es dann nicht ganz so schlimm kommen, würde das verglichen mit dem worst case für viele Menschen immerhin einen relativen mentalen Gewinn bedeuten. Indes: An den Finanzmärkten waren bislang keine Reaktionen auf diese Gemengelage festzustellen. Der Euro bleibt somit in seinem Korrekturmodus des Aufwärtstrends, solange an der Oberseite nunmehr 1,2255/60 nicht mehr überwunden wird.

 

Hinweis

Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

[1] Gemeint ist das sogenannte filibustering, das bei einer Mehrheit von 60 Stimmen im Senat entfallen würde

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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