Gullivers Reichtum
Offenbar geht es der Finanzbranche prächtig. So musste ich gestern lesen, dass die Londoner Großbank HSBC anscheinend schon dabei ist, die von der EU verordnete Begrenzung der Boni für Spitzenverdiener zu umgehen. Wie jetzt bekannt wurde, soll der Konzern für seine Topleute – zu denen das Bankhaus sage und schreibe mehr als 600 Angestellte zählt – eine so genannte „fixe Zulage“ bezahlen. Diese wird von der Bankenaufsicht als festes Basisgehalt anerkannt, so dass sie nicht unter den Bonusdeckel fällt, der bei höchstens 200 Prozent des Jahresgehalts liegt. Immerhin wird die fixe Zulage wie der Bonus jährlich überprüft und gegebenenfalls verändert. Für die drei Spitzenkräfte von HSBC sollen nach Angaben der Financial Times die fixen Zulagen in diesem Jahr 130 Prozent der Grundgehälter ausmachen. Danach würde allein HSBC-Chef Stuart Gulliver zusätzlich zu seinem Grundgehalt von 1,25 Millionen noch eine Zulage von 1,7 Millionen englischen Pfund erhalten. Beide Beträge zusammen bilden schließlich die Grundlage für die Bonuszahlung, so dass Gullivers gesamtes Paket ähnlich hoch sein dürfte wie jenes, das er bereits im Jahr 2013 bekommen hat – damals waren das immerhin mehr als acht Millionen Pfund. Wenn dann auch noch Mister Gulliver mit der Aussage zitiert wird, er fände die Änderungen [in der Bezahlung] ausgesprochen bedauerlich, aber man sei nun mal dazu gezwungen worden, dann rührt mich das Mitleid mit ihm und seinen mehr als 600 Spitzenkräften fast zu Tränen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Mitte der 1990er Jahre das Investmentbanking in Deutschland Einzug hielt und damals eine große Euphorie durch die Bankenlandschaft ging: Endlich würde nach Leistung bezahlt und Grundgehälter und Tantiemen nicht mehr im Gießkannenverfahren für Topleute und Minderleister gleichermaßen ausgegossen, hieß es damals vollmundig. Damit, so eine wichtige Begründung der Top-Manager von damals, würden die Personalkosten nicht ins Uferlose wachsen, ausgeschüttet würde nur, wenn die Performance stimmt. Dann aber richtig!
Gezahlt wird immer
Das scheint sich jetzt geändert zu haben. Ausgeschüttet wird offenbar nun auch, wenn die Performance nicht stimmt. Denn selbst wenn die fixen Zulagen jährlich überprüft werden sollen, sind sie angeblich nicht direkt an die Performance des Unternehmens gekoppelt und unterliegen damit einem gewissen Automatismus. Mehr noch: Im Gegensatz zu den Boni kann die Bank die Zulagen im Falle nachträglich auftauchender Verluste nicht zurückfordern. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass von den 665 „top risk takers“ die 111 Spitzenverdiener ihren Zuschlag zum Grundgehalt in Aktien und somit mit einer Verzögerung von mehreren Jahren ausgezahlt bekommen sollen.
Auch mache ich mir keine Illusionen darüber, Boni seien in der Vergangenheit immer leistungsabhängig ausbezahlt worden. Allein die Tatsache, dass es im Investmentbanking viele Jahre lang den eigentlich in sich widersprüchlichen Begriff des „garantierten Bonus“ gab, mit dem Handgelder und fixe Sonderzahlungen der ersten Dienstjahre eines Investmentbankers umschrieben wurden, ist ein Indiz dafür.
Die Erhöhung fixer Bezahlungsanteile offenbart dreierlei. Erstens, dass die gut gemeinte, aber letztlich lebensferne Bonusdeckelung in der Praxis eine paradoxe Wirkung entfaltet. Natürlich kann das zur Folge haben, dass etliche Banker weniger Risiken als früher eingehen werden – bei weiterhin ähnlich hoher Bezahlung in Spitzenpositionen. Zum zweiten sorgt die (vermeintlich) gelöste Finanzkrise und der damit fehlende Druck, diese lösen zu müssen dafür, dass sich letztlich nicht viel im Investmentbanking geändert hat. Und drittens: Was macht die Ethik? Natürlich ist es nicht illegal, Vorschriften wörtlich auszulegen, und sogar menschlich, sie zu umgehen zu versuchen. Trotzdem wirkt es in ethischer Hinsicht wenig überzeugend, wenn Regeln bewusst nicht in dem Geiste ausgelegt werden, wie sie eigentlich gemeint waren. Sich daran zu halten hätte dem so oft beschworenen Kulturwandel zu mehr Glaubwürdigkeit verholfen. So bleibt dieser wahrscheinlich nicht mehr als ein Wort, weil diejenigen, die ihn einleiten sollten, meist genau diejenigen sind, die ihn erst erforderlich gemacht haben.