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Goldmans Gehorsam

am
12. September 2012

Der gestrige Blog beschäftigte sich mit der Arte-Dokumentation „Goldman Sachs – eine Bank lenkt die  Welt„. Was der Film über das Netzwerk dieses Geldinstituts aussagte, könnte stellvertretend auch für viele andere Unternehmen, Organisationen und Verbände, von der Harvard-Universität bis zu den Freimaurern,  gelten. Aber ich mag keine Verschwörungstheorien. Interessanter fand ich daher die in dieser Dokumentation beleuchtete Wertewelt, die sicher typisch für das Denken in vielen Investmentbanken sein dürfte. Wenn etwa eine ehemalige Angestellte von Goldman Sachs erklärt, es käme nicht darauf an, wie viel man absolut verdient, sondern wie viele Dollars man mehr als der Kollege bekommt – ausschlaggebend für den Erfolg sei demnach die relative Position in der Hierarchie – werde ich ganz stark an einen Positionsgüterwettbewerb erinnert, über den ich hier und hier bereits geschrieben habe. Kein Wunder, wenn in dieser Konkurrenz ethische Grundsätze außer Acht gelassen werden und wenn nicht wenige dazu bereit sind, sämtliche Regeln der Fairness zu vernachlässigen, um sich einen vorderen Platz innerhalb der Rangordnung zu sichern.

 

Warten auf Godot

Dazu passt auch die im Film geschilderte Situation, als ein Seniorpartner die Mitarbeiter seiner Handelsabteilung vor dem langen Wochenende des Memorial Days und nach Handelsschluss zu einer Konferenz um 16 Uhr bittet und dann das Personal stundenlang warten lässt. Wer da irgendwann die Geduld  verliert und sich mit Recht fragt, was das Ganze soll, um dann gegen 20 Uhr schließlich nach Hause aufzubrechen, braucht sich nach Goldman-Logik  nicht zu wundern, wenn er am Dienstag keinen Job mehr hat. Das nennt man neudeutsch „total dedication“, den totalen Einsatz, die uneingeschränkte Hingabe, „Tugenden“, die vor allem Soldaten abverlangt werden, die blind gehorchen sollen. Zwar bezahlt die Finanzwelt  (im Gegensatz zum Militär) ihren Einsatztruppen einen hohen Sold, damit sie nicht zum Gegner, also zu einer anderen Bank, überlaufen. Aber das hat den Effekt, dass sich konformes Verhalten und gegenseitige Bestätigung nur noch verstärken. 

Aufschlussreich fand ich auch die Bemerkung einer Ex-Goldman-Mitarbeiterin und heutigen Journalistin beim US-Magazin „Vanity Fair“, die im Interview mit den Filmemachern sagte, Korruption entstünde in ihren Augen schon dann, wenn alle das Gleiche dächten, weil alle den gleichen gemeinsamen Hintergrund hätten. Das mag zunächst nach einer neuen Verschwörungstheorie klingen. Doch Menschen, die nicht selbständig denken, sondern vor allem immer gehorchen, können gar nicht in einen Interessenskonflikt geraten, wie der Film dem Zuschauer nahelegen will. Denn sie haben nur ein Interesse. Sie sind davon überzeugt, dass das, was sie tun, richtig ist – und sei es noch so sinnlos oder gar unethisch. Aber solche Mitarbeiter findet man eben nicht nur bei Goldman, sie gibt es überall.  

 

Total dedication

Natürlich ist die Gefahr einer Gleichschaltung im Denken bei homogenen Gruppen größer. Und in vielen Unternehmen ist Homogenität des Personals bereits das Ergebnis des Einstellungsverfahrens. Dieses wirkt wie ein Filter, der nur die Bewerber durchkommen lässt, die zu den übrigen Mitarbeitern passen. Goldman scheint jedoch noch einen Schritt weiter zu gehen. Da werden sogar noch einige Zeit später erneut bei einem Meeting Angestellte aussortiert, die durch das erste Raster durchgerutscht sein müssen. Und so bleibt am Ende ein Stamm von Mitarbeitern übrig, die alle willens sind, sich für die Firma aufzuopfern, wie der Film es am Beispiel eines Mathe-Genies aus dem Goldman-Team bei seiner Vernehmung vor dem US-Kongress zeigt.

Im Grunde hätte man doch gerade diejenigen Mitarbeiter, die Rückgrat bewiesen und sich eben nicht gruppenkonform verhalten haben, indem sie irgendwann nach Hause gingen, statt auf Godot in Gestalt ihres Chefs zu warten, belohnen müssen. Aber das macht man eben nur dann, wenn man selbstständig denkende und handelnde Mitarbeiter haben möchte. Aber genau das ist nicht gewollt. Und so bekommt man stattdessen gefügiges Personal, das sich konform zur internen Wertewelt des einzelnen Unternehmens oder einer ganzen Branche verhält. Die Gefahr scheint mir nur, dass sich dieses Wertesystem mittlerweile von den grundsätzlichen ethischen Vorstellungen in unserer Gesellschaft gänzlich abgekoppelt hat. Und deshalb frage ich mich, ob ein „Wir bereuen“ ausreichen kann, um diese Diskrepanz wieder zu überbrücken.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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