Dollar am Morgen

Gemischte Gefühle

am
16. April 2021

Der Wert ökonomischer Daten für die Finanzmärkte wird mithin überschätzt. Zu diesem Schluss könnte man zumindest kommen, wenn man etwa die gestrige Veröffentlichung der US-Einzelhandelsumsätze vom März und die wöchentlichen Daten zum dortigen Arbeitsmarkt analysiert. Nun ist ein Zuwachs von 576 Tsd. Erstanträgen auf Arbeitslosenhilfe sicherlich noch kein Grund zum Jubeln. Aber im Kontext mit der Covid-19-Pandemie und bezogen auf die Erwartungen der Ökonomen kann man durchaus von einem guten Fortschritt sprechen – die Erstanträge sind immerhin auf ein 13-Monats-Tief gefallen.

 

Shoppen statt an der Börse zocken

Aber auch die Einzelhandelsumsätze fielen mit einem Plus von 9,8 Prozent (ohne Autos +8,4 Prozent) im März gegenüber dem Vormonat weitaus höher als erwartet aus und lagen auf jeden Fall am oberen Ende der Erwartungen der Ökonomen. Erwartungen, die allerdings – um im Devisenhändler-Jargon zu bleiben – „breit wie ein Scheunentor“ von +3,5 bis zu einem Plus von 12 Prozent reichten. Auf jeden Fall wird deutlich, dass von den 1.400 USD, die die Amerikaner in Form von Stimulus-Schecks erhalten haben, wohl nicht alles zu Aktienspekulationen genutzt wurde. Offenbar sind die Leute einkaufen gegangen.

Nun habe ich nur die wichtigsten einer ganzen Reihe von gestern veröffentlichten Wirtschaftsdaten genannt. Wirtschaftsdaten, die für die Akteure an den Finanzmärkten im Prinzip wie eine Bestätigung wirkten, dass die US-Ökonomie möglicherweise (und trotz des immer noch in Mitleidenschaft gezogenen US-Arbeitsmarktes) eine Tendenz zur Überhitzung zeigen könnte. Dass der breitgestreute US-Aktienindex S&P 500 mit einem neuen Allzeithoch reagierte, sollte daher nicht überraschen.

 

Taper Tantrum flößt scheinbar keine Angst mehr ein

Interessanter war jedoch die Reaktion bei den Renditen der US-Staatsanleihen. Denn es wäre nicht abwegig gewesen, zu erwarten, dass diese auch wegen etwaiger Inflationsängste hätten zulegen müssen. Bislang galt eigentlich die Devise, dass gute Wirtschaftsdaten schlecht für die Anleihemärkte sind. Stattdessen ist das Gegenteil eingetreten. Die Rendite der zehnjährigen Treasuries schmierte per Saldo sogar um rd. 11 Basispunkte ab – es handelt sich um den größten Tagesverlust seit dem 4. November 2020!

Wobei unklar ist, ob die vorgenannten ökonomischen Daten bereits eingepreist waren oder die Akteure mittlerweile davon ausgehen, dass die US-Notenbank ein Überhitzen der Wirtschaft tolerieren würde. Somit stünde ein sogenanntes Taper Tantrum, ein Sell-Off am Bondmarkt aufgrund einer befürchteten geldpolitischen Straffung der Notenbank, derzeit seltsamerweise nicht mehr auf der Agenda.

 

Man gibt sich gelassen

Dies ist insofern bemerkenswert, als gerade erst bei der jüngsten Fondsmanager-Umfrage der Bank of America zwischen dem 6. und 12. April gerade ein ebensolches Taper Tantrum als größtes Extremrisiko genannt wurde. Es ist noch nicht allzu lange her, da konnten Kommentatoren mancherorts angesichts der bis Ende März angestiegenen US-Anleiherenditen nicht oft genug betonen, dass die Entwicklung an den US-Bondmärkten, also die Positionierungen ihrer Teilnehmer, die Fed eher früher als später zu einer geldpolitischen Straffung zwingen würden. Als ob die Fed nur noch reagieren könne und so zwangsläufig „behind the curve“ sei. Nun scheint es, als ob die Notenbank ihrerseits die Anleihehändler stattdessen zumindest zeitweise in ihre Schranken verwiesen hat.

Aber auch die Devisenhändler schienen die gestrigen US-Wirtschaftsdaten nicht wirklich zu goutieren. Auch nicht den starken Rückgang der Rendite der zehnjährigen Treasuries, der einem ohnehin angeschlagenen US-Dollar eigentlich einen weiteren Schlag hätte versetzen können. Stattdessen gab man sich stoisch, so dass der Euro die Handelssitzung gegenüber dem Greenback gerade einmal mit einer Handelsbandbreite von 40 Stellen beendete. Damit bleibt es bei der kurzfristig trendlosen Seitwärtsentwicklung mit stabilem Charakter, solange 1,1810/15 nicht unterlaufen wird.

 

 

Hinweis

Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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