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Fluch des ewigen Vergleichens (Positionsgüter Teil 5)

am
30. Oktober 2013

In den vergangenen vier Beiträgen zu Positionsgütern dürfte bei manchem Leser der Eindruck entstanden sein, dass diesen Dingen eigentlich nicht allzu viel Positives abzugewinnen ist. Wozu der ganze Stress, mag mancher denken, wozu dieses ewige Wettrennen um den besseren gesellschaftlichen Status, dieses permanente  Vergleichen, diese dauernde Frustration, weil es immer andere geben wird, die mehr haben oder mehr können. Aber auch der teilweise hemmungslose Tausch von positionsunabhängigen Gütern wie Freizeit, Familienleben, Arbeitsplatzsicherheit, Schlaf etc. gegen das Positionsgut Geld hinterlässt bei vielen Menschen Spuren. Und glücklicher wird die Gesellschaft als Ganzes dadurch auch nicht: Nicht zufällig ist der Burnout die Modekrankheit unserer Epoche. Nicht umsonst befassen sich zwei der zehn biblischen Gebote mit dem Problem, dass sich zu allen Zeiten Menschen der Positionsgüter anderer bemächtigen oder mit deren Eigentümern mindestens gleichziehen wollen. „Du sollst nicht stehlen!“, heißt es im 2. Buch Mose, und weiter: „Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Hab und Gut sowie Deines Nächsten Weib“. Woraus auch abzulesen wäre, dass eine Ehefrau damals ebenfalls als Positionsgut angesehen wurde.

Allein schon die Tatsache, dass den Menschen schon vor Jahrtausenden solche Gebote gegeben wurden, um ihrem unentwegten Streben nach Mehr, ihrem Wachstumstrieb, ihrer Gier Einhalt zu gebieten, zeigt: Die Frage, welchen Rang bekleide ich innerhalb meiner sozialen Gruppe und wie kann ich ihn gegebenenfalls verbessern, treibt den Einzelnen seit Menschheitsgedenken um. Das zeigt sich auch indirekt darin, dass sich gleich drei der sieben Todsünden, auf die ich (hier) und (hier) eingegangen bin, mit negativen Charaktereigenschaften beschäftigen, die allesamt im Zusammenhang mit der dauernden Konkurrenz um den höheren Status stehen.  Gemeint sind Gier, Neid und Stolz – alle gelten sie als schwere Verfehlungen, die der christlichen Lehre zufolge zur ewigen Verdammnis in der Hölle führen können.

 

Wider den „bösen Trieb“

Warum also Positionsgüter nicht einfach abschaffen oder zumindest weniger attraktiv machen? Der Kommunismus hat genau das versucht, wenn auch ohne Erfolg. Es gibt nicht wenige, die am liebsten sogar Geld als fungibelstes aller Positionsgüter oder zumindest Zins und Zinseszins als Ursache gesellschaftlichen Übels abschaffen würden und sich dann paradoxerweise für Gold oder gar Bitcoins stark machen. Wo doch gerade seine relative Knappheit Gold zum Positionsgut par excellence gemacht hat.

Auch haben sich schon viele Menschen seit Jahrtausenden den Kopf darüber zerbrochen, wie man diesen „bösen Trieb“ des Menschen nach Mehr in den Griff bekommen könnte[1]. Vor allem, wenn Menschen wegen sozialer Vergleiche Gesetze brechen oder Dinge tun, die sie normalerweise nie begehen würden, zu denen sie sich aber im Wettbewerb um den besten Rang in der Gesellschaft genötigt sehen. Oder sie geraten unter Zugzwang, weil alle anderen an einem Trend partizipieren. So könnte allein  aus Gründen der Sicherheit die Anschaffung eines Positionsgutes geradezu zwingend angezeigt sein. Wer sich beispielsweise als Einziger mit einem alten Austin Mini zwischen lauter gepanzerten SUVs im Straßenverkehr fortbewegt, droht zerquetscht zu werden. Schon weil sein niedriges Chassis vor ihrem mächtigen Kühlergrill verschwindet.

Bieten denn also Regeln und Reglementierungen die einzige Lösung des Problems? Soll man den „bösen Trieb“ per Gesetz unterdrücken? Das würde allerdings auch bedeuten, dass damit jedes  gesellschaftliche Wachstum, jede Weiterentwicklung genauso im Keim erstickt würde.

 

Interne statt externe Bezugspunkte

Immerhin gelingt es vielen Menschen immer wieder, ihren Selbstwert nicht allein aus dem Vergleich mit anderen zu beziehen, sondern diesen vielmehr an internen Bezugspunkten festmachen. Vielleicht sollte man sich einfach viel häufiger fragen, ob man diese oder jene Anschaffung auch tätigen würde, wenn der Bekannte oder Freund nicht neulich damit voller Besitzerstolz bei einem aufgetaucht wäre, so dass unsere Begehrlichkeit geweckt wurde. In einer Straße, die nicht vollgeparkt mit den teuren Schlitten der Nachbarn wäre, würde man vielleicht auch eher aufs Fahrrad umsatteln.  

Aus gesellschaftlicher Sicht bestünde daher ein erster Schritt gegen Positionsgüter darin, diese weniger attraktiv erscheinen zu lassen. Möglicherweise durch eine (be)steuernde Gesetzgebung. Aber wer möchte das tatsächlich und wie effektiv wären entsprechende Maßnahmen, wenn sich die Führenden auf der Positionsleiter diese Güter trotz einer massiven Verteuerung immer noch leisten könnten?  Ein anderer Weg bestünde darin, die Wertschätzung von positionsunabhängigen Gütern zu erhöhen und diese zu schützen.

Der wichtigste Schritt, sich von der Fessel der Statussymbole und Positionsgüter zu befreien, muss aus der Gesellschaft selbst heraus gemacht werden, denn Gesetze können – wenn überhaupt – immer nur einen Entscheidungsrahmen bilden, und Sündenregister und Moralkeulen funktionieren nur als Drohung oder Appell. Vielmehr sollte man daher das Bewusstsein für die negativen Mechanismen des sozialen Vergleichs schärfen. Mehr aber noch ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie Menschen tatsächlich wahrnehmen, bewerten und entscheiden. Dazu kann die Behavioral Economics einen wichtigen Beitrag leisten. Wer die Mechanismen des ewigen sozialen Vergleichens durchschaut und wer andererseits begreift, was Menschen langfristig wirklich glücklich macht, wird vielleicht eher zu dem Schluss kommen, nicht bei jedem Gerangel ums Sozialprestige mehr mitmachen zu müssen.



[1] Stellvertretend seien hier die „Fabel des bösen Triebs“ aus dem Babylonischen Talmud („The Fable of the Evil Impulse“, zitiert aus Ohrenstein, Roman A. und Gordon, Barry L. J. (2009): Economic Analysis in Talmudic Literature, 3rd revised Ed., Brill NV, Leiden, pp. 48 ff.) oder die von mir häufig erwähnte Bienenfabel von Bernard Mandeville erwähnt. 

 

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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