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Das große Rennen (Positionsgüter Teil 4)

am
28. Oktober 2013

Zuletzt habe ich mich an dieser Stelle mit dem Unterschied zwischen Positionsgütern und ihrem Gegenteil, also mit jenen Gütern, deren Wert im sozialen Vergleich neutral und unverändert bleibt, beschäftigt. Daran anschließend muss noch ergänzt werden, dass häufig die Tendenz besteht, ein positionsunabhängiges Gut gegen ein Positionsgut zu tauschen. So wird zum Beispiel eine Ausgabe, die den gesellschaftlichen Rang nicht verändert, zugunsten der Anschaffung eines Positionsgutes aufgeschoben, wenn nicht ganz geopfert. Beispielsweise, wenn Freizeit oder Familienleben zugunsten von Überstunden aufgegeben werden. Das hat oft zur Folge, dass zwar vorübergehend gegenüber den Konkurrenten im sozialen Vergleich ein Vorteil erzielt wird, doch ist dieser in dem Moment wieder verloren, in dem andere Menschen in puncto Status gleichziehen oder gar überholen. Der eine kauft sich ein teures PS-starkes Auto, daraufhin legt sich sein Nachbar womöglich ein noch größeres imposanteres Vehikel zu. Obwohl beide jetzt, absolut gesehen, über einen hohen Auto-Standard verfügen mögen, fühlt sich derjenige mit dem kleineren Gefährt benachteiligt und unzufrieden.

In diesem Zusammenhang spielen auch gesellschaftliche Normen eine große Rolle. Denn ein Produkt,  das „in“ ist, wie zurzeit zum Beispiel das I-Phone oder I-Pad, wird in seiner Bedeutung als Positionsgut noch zusätzlich aufgewertet. Vor allem wenn es aufgrund von Lieferknappheit, also wegen unzureichender Verfügbarkeit oder auf Grund seines hohen Preises  nicht von jedermann erworben werden kann. Deswegen können manchmal auch unscheinbare Dinge, wenn sie plötzlich zur gesellschaftlichen Norm, zur Mode, zum „must have“ werden, zu Positionsgütern mutieren. Flauen diese Moden und Trends indes ab, weil sie mittlerweile vielen Menschen zugänglich geworden sind, verlieren sie schnell ihre Bedeutung als Positionsgut.

 

Positionsgüter nicht nur für Reiche

Am Ende kann ein richtiggehender Wettlauf beim Konsum von Positionsgütern entstehen. So werden immer größere und schnellere Autos gekauft, weil jeder versucht, seine Position zu verbessern. Selbst wenn der Kauf eines solchen Autos völlig unsinnig erscheinen mag, wenn man allein bedenkt, dass auf den meisten Straßen Tempolimits herrschen, die einem jedes Fahrvergnügen verderben und es verhindern, den schnellen Sportwagen einmal richtig auszuprobieren. Aber der Kauf eines noch teureren, noch leistungsfähigeren Vehikels fängt bei den Spitzenverdienern an und verschiebt damit den Referenzpunkt für die darunter liegende Einkommens- bzw. Vermögensklasse nach oben. Wer nicht mithalten kann, fällt hinten runter. Ein Effekt, der sich bei weniger teuren Gütern auch bis in niedrigere Einkommensgruppen fortpflanzen kann. Womit der relative Anteil von Positionsgütern am gesamten Verbrauch eines Haushalts mit sinkenden Einkommen steigen wird. Mit der Konsequenz, dass Einkommensschwache vermehrt positionsunabhängige Güter, etwa eine Stunde Schlaf, aufgeben müssen, um sich den Wohlstand durch Mehrarbeit noch leisten zu können.

Den Wettbewerb um Positionsgüter kennt auch die Geschichte der Finanzmärkte. Etwa zu Zeiten der so genannten Dotcom-Blase am Aktienmarkt zur Jahrtausendwende, als plötzlich jeder über Nacht reich werden wollte und sogar als durch und durch rational geltende Wissenschaftler plötzlich beim „Rattenrennen“ mitten im Rudel mitrannten. Selbst Menschen mit niedrigem Einkommen, die normalerweise ihr Geld aufs Sparbuch trugen, wurden vom Rausch erfasst. Schon träumten sie davon, einen großen Satz auf der sozialen Leiter nach oben machen zu können. Alle geeint in der Hoffnung, das fungibelste aller Positionsgüter in großem Ausmaß und extrem schnell bekommen zu können. Und weil ringsum in der Nachbarschaft plötzlich Millionäre lebten, die tags zuvor noch zu den Durchschnittsverdienern zählten, haben viele am Aktienmarkt mitgemischt, die normalerweise dort nie etwas verloren hatten. Das Ende des Wettlaufs ist bekannt. Nur ganz wenige sind wirklich reich geworden, die meisten waren am Ende (viel) ärmer als zuvor. Aber zum Glück hatte es ja den Nachbarn bei dieser Gelegenheit gleich mit erwischt – die Abstände auf der sozialen Leiter waren tröstlicherweise wieder genauso groß wie vor der spekulativen Blase.

Stellt sich nun die Frage, ob es dem gesellschaftlichen Frieden nicht dienen würde, wenn man der Jagd nach Positionsgütern Einhalt gebieten würde. Doch ist das wirklich sinnvoll und überhaupt möglich? Darauf werde ich in meinem nächsten, abschließenden Blog in dieser Reihe eingehen.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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