Feeling uneasy
EUR USD (1,1770) Das Hauptinteresse der Finanzmarktakteure hat gestern weniger den Devisenmärkten, sondern vielmehr den Aktienmärkten dies- und jenseits des Atlantiks gegolten. Während der S&P 500 Index in den USA nach drei negativen Wochen auch die vierte mit einem Minus begonnen hatte, hat es dieses Mal hierzulande den DAX besonders stark erwischt. Mit einem Minus von rund 4,4 Prozent notieren wir den größten Tagesverlust seit Beginn der Covid-19-Rallye im März. Der Dollar war „im Zeichen der allgemeinen Risikoaversion“ gestern gesucht.
Erste Korrektur war noch willkommen…,
Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich Börsianer angesichts des immer unheimlicher werdenden Aufwärtstrends eine kräftige Korrektur geradezu herbeigesehnt hatten. Ein Wunsch, der sich immerhin am 3. September zum ersten Mal erfüllen sollte. Das war ein Tag nach dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Rallye, die mittlerweile vielerorts als neuer Bullenmarkt bezeichnet wird. Der Kurseinbruch stellte beim S&P 500 vor nicht einmal drei Wochen immerhin den zweitgrößten Tagesverlust im Rahmen dieses Trends dar.
Während damals viele Finanzmarktakteure ohnehin bearish auf den Aktienmarkt waren, stehen die Zeichen dieses Mal anders. Nicht wenige Aktienmarktteilnehmer haben derzeit ein ungutes Gefühl (der englische Ausdruck „feeling uneasy“ trifft den gestrigen Gemütszustand der Börsianer eigentlich am besten). Denn es gab gestern keine wichtigen Fundamentaldaten zu begutachten, und auch die einzelnen Ereignisse des Tages sind durchaus nicht so unerwartet eingetreten, dass sie einen solch starken Kurseinbruch etwa bei den Aktien der Eurozone, aber auch anfangs in den USA gerechtfertigt hätten.
… die von gestern hingegen weniger
Natürlich waren Bankaktien unter besonders schwerem Abgabedruck, nachdem ein nicht gerade schmeichelhafter Bericht über mögliche Geldwäsche der Banken, die sogenannten „FinCEN-Files“, gestern publik wurde. Aber der Gesamtmarkt?
Eine Belastung für die Aktienmärkte in den USA könnte auch der Kampf von Republikanern und Demokraten um den neu zu besetzenden Sitz beim Supreme Court nach dem Tod der Richterin Ruth Bader Ginsburg darstellen. Denn US-Präsident Donald Trump möchte diese Personalie möglichst noch vor den Wahlen vom Tisch haben.
Stimulus-Verhandlungen nun noch schwieriger
Per se wäre dieser Streit wahrscheinlich ohne Einfluss auf die Märkte geblieben. Aber man kann sich natürlich gut vorstellen, dass die Verhandlungen über das neues Stimulus-Paket nun eine ganz andere Richtung aufnehmen – eine rasche Einigung dürfte angesichts der ungewöhnlichen Nominierung für den Sitz im höchsten US-Gericht seitens Donald Trumps und der Republikaner so kurz vor den Wahlen noch weniger wahrscheinlich sein. Zwar haben die Demokraten im Senat zurzeit (noch) nicht die erforderliche Mehrheit, um die Installation einer Nachfolgerin zu verhindern, aber dafür sind sie dann eben beim für die US-Wirtschaft so wichtigen Stimulus-Paket auch nicht so bald zu einem Kompromiss bereit. Aber ein solcher war auf die Schnelle ohnehin nicht zu erwarten.
Auch dass die Aktienmärkte wegen der neuerlichen negativen Entwicklung der Covid-19-Krise wie von Kommentatoren berichtet ausgerechnet gestern zur Ader gelassen wurden, erscheint bestenfalls auf den ersten Blick plausibel. Wie oft schon haben die Akteure derlei Nachrichten während der vergangenen Monate ignoriert.
Der unterschätzte Digitalstreit
Auch die gestiegenen Spannungen im US-chinesischen Digitalstreit könnten ein Teil im bearishen Aktienmarkt-Puzzle darstellen – China dürfte dem Trumpschen Vorschlag zum Tik-Tok-Deal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so nicht zustimmen –, aber die Börsianer waren gegen Negativmeldungen im US-chinesischen Hightech-Krieg bislang eigentlich immun. Auch wenn ich erst am Sonntag (HIER) die Meinung geäußert hatte, dass diese Spannungen wahrscheinlich unterschätzt werden.
Der neuerliche Einbruch der Aktienkurse kommt indes zu einem Zeitpunkt, da sich heimische Investoren zum ersten Mal seit Wochen wieder etwas optimistischer zeigten, wie etwa die Sentiment-Umfrage vom vergangenen Mittwoch ergab. Nicht extrem optimistisch, aber wie ich am vergangenen Donnerstag HIER erläuterte, fehlt dem Aktienmarkt durch die jüngste Entwicklung hierzulande die stützende heimische Nachfrage im Falle von Kursrückgängen. Durch die jüngste Dollar-Entwicklung bleibt der Euro naturgemäß in seinen Korrekturmodus, der bis 1,1690 reichen könnte und zurzeit den übergeordneten Aufwärtstrend unterbricht. Dieser hat während der vergangenen Tage enorm an Momentum eingebüßt, weswegen der Euro für eine Wiederaufnahme des Trends nunmehr 1,1895/00 überwinden müsste.
Hinweis
Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.