Gesellschaft Politik

Drauf gepfiffen!

am
26. Juni 2013

Ist der US-Informant Edward Snowden ein Verräter oder ein Volksheld? – Eine Frage, die die Gemüter derzeit bewegt und für kontroverse Diskussionen sorgt. Ist Snowden ein Whistleblower, der einfach nur Alarm schlagen wollte, um Fehlverhalten, Missstände und Ähnliches an die Öffentlichkeit zu bringen? Jemand also, der von einem Denunzianten abzugrenzen ist, weil er uneigennützig handelt, der seinen Arbeitsplatz, seine beruflichen und privaten Kontakte riskiert, um einzig aus Gewissensgründen auf gesetzeswidriges Verhalten hinzuweisen? Und der nicht wegen finanzieller Anreize aktiv wird und den man mancherorts sogar als positiven Verräter bezeichnen würde. Unzweifelhaft ist dennoch, dass dem Whistleblowing der Beigeschmack des Verrats anhaftet. Hätte sich Snowden darüber im Klaren sein müssen, bevor er seine Stelle bei der NSA (National Security Agency) antrat, dass Spionieren zu seinem täglichen Arbeitsgebiet gehören würde und er somit kein Recht haben sollte, Informationen über Späh- und Abwehrprogramme der Geheimdienste der USA und Großbritanniens an die Medien weiterzugeben? Oder hat Snowden anfangs das Ausmaß und die Bedeutung seines Arbeitsfeldes unterschätzt und erst mit der Zeit Skrupel bekommen? Dies alles sind Fragen, die ich weder bewerten noch endgültig beantworten kann. Das Einzige, was sicher scheint, ist: Die betroffenen Staaten haben kein Interesse daran, dass der tatsächliche Umfang ihrer Überwachungsmethoden an die Öffentlichkeit gerät.

 

Whistleblowing für Geld

Aber es scheint noch andere Formen des Whistleblowing zu geben, nämlich die Aufdeckung von Verbrechen und Straftaten gegen Geld. Sei es, dass eine Frau Informationen über den Hedgefonds ihres Ex-Manns an die US-Börsenaufsicht SEC liefert, der darauf des Insider-Tradings überführt werden kann und dafür eine Million US-Dollar kassiert (Näheres dazu in einem früheren Blogbeitrag hier), sei es der Verkauf von Schweizer Kontendaten an die Steuerermittler europäischer Staaten. Verrat für einen guten Zweck also, der, obwohl in der Schweiz illegal, hierzulande legitimiert wird, weil der Staat ein starkes Interesse an diesen Informationen hat. Steuerhinterziehung und Insider-Tradings sind strafbar[1];  deshalb ist auch das Pfeifen für Geld willkommen!

Vielleicht sollen die hohen Belohnungen ja auch diejenigen auf den Plan rufen, die bislang aufgrund materieller oder ideeller Hindernisse nicht bereit waren, gesetzwidriges Verhalten von Kollegen oder Vorgesetzten anzuzeigen, weil sie sich einer „lokalen“ Gruppennorm verbunden fühlten oder in einer vertrauensvollen Beziehung und nicht in Scheidung lebten. Hätte Judas Ischariot Jesus ohne finanziellen Anreiz verraten? Manchmal stellt Rache selbst in den Augen entlassener Mitarbeiter oder betrogener Ehefrauen und -männer einen zu niedrigen Beweggrund dar, als dass sie bereit wären, dem ehemaligen Arbeitgeber oder Partner auf diese Weise eins auszuwischen.

 

Verrat nach Motivlage

Mir selbst geht es aber nicht um den Verrat nach Motivlage, denn Moral ist etwas Relatives und unterliegt Normen, die sich mitunter auch verändern können. Viel mehr stört mich, dass mit den Enthüllungen eines Edward Snowden ein Überwachungssystem ungeahnten Ausmaßes aufgedeckt wurde, das in wenigen Monaten bereits zur neuen Norm werden könnte. Dafür sorgt schon allein die Gewöhnung der Menschen an das heute Unerhörte, das Verbotene eines Überwachungsstaates. Da beruhigt mich nicht, dass der Absatz des Romans „1984“ von George Orwell in jüngster Zeit sprunghaft angestiegen ist und man sich hierzulande allzu schnell mit dem Versprechen mancher Politiker zufrieden gibt, dass sie für eine rückhaltlose Aufklärung sorgen wollen.

Wenn es zur Normalität wird, dass ein Staat über alles, das man tut, Aufzeichnungen machen und speichern darf, obwohl dies illegal ist, braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn eines Tages Privatleute einander ausspähen. Zum Beispiel aus Neid und Rachsucht. „Was regst du dich denn auf? Du bist doch auch bei Facebook, Twitter et cetera, du bist doch eh schon nackt!“, werden manche das achselzuckend kommentieren. Und dann kommt meist der Satz: „Ich hab‘ ja sowieso nichts zu verbergen.“ Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Denn auch die Normen, was als erlaubt und was als schändlich oder verboten gilt, können sich leicht verschieben.



[1] Streng genommen handelt es sich dabei nicht um Whistleblowing, denn die Motive dieser Menschen sind nicht uneigennützig

 

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1 Kommentar
  1. Antworten

    Lockez

    26. Juni 2013

    Ich kann diesen Satz „Ich hab‘ ja sowieso nichts zu verbergen.“ nicht mehr hören, meine Antwort ist dann: „Laß doch deine Wohnungstür weit geöffnet wenn du unterwegs bist, denn du hast ja nichts zu verbergen!“
    Meistens werde ich dann blöde und verwirrt angeschaut und als Antwort kommt dann: „Das ist ja was anderes, das ist meine Privatsphäre und beklauen möchte ich mich auch nicht lassen.“
    Hmmm…es ist schon erschreckend festzustellen, das die meisten nur eine Hirnzelle nutzen anstatt das gesamte Hirn.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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