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Denen man nicht mehr vergibt

am
20. Februar 2012

Es war im Januar 2011, als der Chef der Barclays Bank, Bob Diamond, forderte, mit der Kritik an den  Bankern müsse endlich Schluss sein. Und er fügte hinzu, die Zeit der Reue sei jetzt endgültig vorbei, als er vor einem Ausschuss des britischen Parlaments Rede und Antwort stehen musste. Das war mitten in einer Zeit, als sich die Investmentbanken wegen ihrer Bonuspolitik vor allem in Großbritannien, aber auch hierzulande heftige Kritik aus der Bevölkerung und anschließend auch von der Politik gefallen lassen mussten. Gut ein Jahr später wurde dem früheren Chef der Royal Bank of Scotland, Fred Goodwin, wegen seiner zweifelhaften Rolle während der Finanzkrise die ihm einst mit allen Ehren verliehene Ritterwürde wieder aberkannt. Eine  öffentliche Demütigung, wie sie sonst nur Schwerverbrechern zuteilwird – zuletzt (2008) war der Adelstitel Robert Mugabe, dem Despoten von Zimbabwe, entzogen worden.

Aber Stephen Hester, den derzeitigen Vorstandschef der zwangsweise verstaatlichten Royal Bank of Scotland, hat es ebenfalls erwischt. So musste er vor kurzem, nach tagelangem Druck der Öffentlichkeit und genötigt von Politikern, Gewerkschaftern und Medien, seinen umgerechnet etwa 1,2 Millionen Euro schweren Bonus in Aktien wieder zurückgeben.

Und auch der frühere Präsident der Schweizer Nationalbank, Philipp Hildebrand, versuchte vergeblich,  business as usual zu mimen und einfach weiterzumachen, nachdem das unglückliche Timing der Währungsgeschäfte seiner Frau bekannt geworden war: Doch der öffentliche Zorn wollte einfach nicht schwinden.

Mitte Dezember 2011 geriet dann auch der am vergangenen Freitag zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff zum ersten Mal im Zusammenhang mit einem Hauskredit in die Schlagzeilen. Was daraufhin folgte, ist allseits bekannt. Teils unter kräftiger Mitwirkung der Medien gelangten fast schon mit einer gewissen Regelmäßigkeit kleinere oder größere Geschichten aus seiner früheren Amtszeit als Ministerpräsident von Niedersachsen ans Licht der Öffentlichkeit, in denen dieser immer wieder der Vorteilsnahme und Unaufrichtigkeit verdächtigt und als kleinlicher Schnäppchenjäger beschrieben wurde. Ob er dabei tatsächlich im juristischen Sinne gefehlt hatte, diesen Beweis blieben die whistleblower allerdings oftmals schuldig. Selbst die nunmehr in der Causa Wulff ermittelnde Staatsanwaltschaft legt größten Wert auf die Unschuldsvermutung, die auch für den Ex-Präsidenten gelten müsse.

Was haben all diese Geschichten gemeinsam? Zunächst fällt auf, dass sich die Menschen offenbar weder an millionenschwere Banker-Boni gewöhnen wollen noch an die Gefälligkeiten, die der Bundespräsident willig entgegennahm. Verglichen mit der Berichterstattung zu diesen Themen sind  die Naturkatastrophen in Thailand, Haiti und Japan, die das Schicksal tausender und abertausender Menschen betroffen haben, wesentlich schneller aus den Schlagzeilen verschwunden. Natürlich könnte man gerade im Falle Wulffs einwenden, die Medien hätten mit ihrer scheibchenweise erfolgten Veröffentlichung von in ihrer Schwere ganz unterschiedlichen Vorwürfen ja quasi selbst dafür gesorgt, dass keine Abstumpfung bei der Bevölkerung eintreten konnte. Mit anderen Worten: Der Adaptionsprozess der öffentlichen Meinung wurde durch überraschende und immer wieder verschieden gravierende neue Erkenntnisse zu Wulffs Amtsführung empfindlich gestört[1]. Doch lässt sich dagegen sofort einwenden, dass die Medien mit Ausdauer eben nur darüber berichten, was vom interessierten Publikum auch nachgefragt wird.

Es muss sich also noch etwas geändert haben. Denn in früheren Zeiten hätte man sich wohl kaum jahrelang über die überzogene Bezahlung von Investmentbankern aufgeregt. So hatte noch der Banker Bob Diamond irrtümlicherweise angenommen, die Banken würden ihre Schuld wie in früheren Zeiten schon bald wieder abstreifen können. Auch Bagatellen wie Wulffs Hauskredit oder seine Probefahrt mit einem neuen Auto-Modell wären früher vermutlich schnell in Vergessenheit geraten. Ich kann mich an Verfehlungen und Skandale hochrangiger deutscher Persönlichkeiten und Ministerpräsidenten erinnern, die weitaus schwerer wogen; Politiker, die trotz alledem wieder zurückkamen und deren Altersversorgung nicht wie jetzt bei Wulff zur Disposition stand.

Offenbar hat die Gesellschaft ihr Verhalten insbesondere gegenüber denjenigen geändert, die dem obersten Ein-Prozent-Segment innerhalb der Einkommensverteilung angehören. Diese Gruppe scheint seit Entstehen der Occupy-Bewegung unter besonderer Beobachtung zu stehen. Unterstützt wird diese Wachsamkeit durch eine neue Form der Transparenz im Internet, Unterstützt wird diese Wachsamkeit durch eine neue Form der Transparenz im Internet, wo binnen kürzester Zeit Menschen im Extremfall geradezu „hingerichtet“ werden können. Und weil dieses „alleroberste Prozent“ nach allgemeinem Verständnis als das Resultat einer ungerechten Verteilung der Einkommen gilt, ist man offenbar nicht mehr bereit, auch noch die kleinsten Verfehlungen dieser Leute hinzunehmen. Sie sind es, denen man nicht mehr vergibt.



[1] Vgl. Im Zusammenhang mit unterbrochenen Gewöhnungsprozessen auch Hsee, Christopher K., (2008): Two Recommendations on the Pursuit of Happiness, Journal of Legal Studies vol. 37

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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