Behavioral Living

Behavioral Training

am
16. Januar 2013

Dreimal pro Woche gehe ich ins Sportstudio. Und das schon seit etlichen Jahren. Daher werde ich immer wieder einmal gefragt, ob ich das, was ich dort an einem so genannten Cross-Trainer vollbringe – es handelt sich in der Regel um ein 45minütiges Training – nicht allmählich als langweilig empfände. Gott sei Dank könne man ja dabei fernsehen, wiegele ich dann meistens ab. Aber es gibt dennoch durchaus Tage, an denen das Training richtig ätzend sein kann. Und dann blicke ich doch recht häufig auf die Uhr, wann das Ganze endlich überstanden ist und ich verschwitzt, aber mit gutem Gewissen vom Gerät wieder absteigen kann.

Unlängst hatte ich während der Weihnachtsferien in Norddeutschland auch das dortige Sportstudio  aufgesucht, welches sich, wohl in bewusster Abgrenzung zur rauen Landschaft Schleswig-Holsteins, „California-Club“ nennt. Dort hängen nicht wie in Frankfurt acht Bildschirme an der Hallendecke, von denen ganz verschiedene Programme flimmern. Vielmehrt gibt es nur einen Fernseher und damit auch nur einen Sender. Dafür handelt es sich bei den Cross-Trainern um hochwertige Maschinen der Firma precor, ausgestattet mit einer Uhr der besonderen Art. Auf ihr sieht man nämlich nicht wie sonst üblich nur die bereits absolvierte Trainingszeit, sondern man kann sich stattdessen auch die noch verbleibende Zeit bis zum Erreichen des Trainingsziels anzeigen lassen. Eine tolle Idee, denn oft kommt es mir geradezu endlos vor, bis 45 Minuten verstrichen sind.

 

Nur eine Frage der Präsentation (Framing)

Aber da ich mittlerweile immer mehr versuche, mein Leben verhaltensökonomisch so angenehm wie möglich zu gestalten, setzte ich die Umschaltmöglichkeit zwischen verstrichener und noch zu absolvierender Zeit ganz gezielt bei meinem Training ein. Denn eine Uhr, die ausgehend vom Bezugspunkt 0 nur das bereits abgeleistete Training misst, hat den gravierenden Nachteil, dass jeder Trainingsfortschritt mental zwar als Gewinn, aber (gemäß der Prospect Theorie der Psychologen Kahneman & Tversky) leider gleichzeitig auch mit abnehmender Sensitivität wahrgenommen wird.

Andererseits würde eine Uhr, die nur die noch abzuleistende Zeit anzeigt und deren Anzeige sich demzufolge ausgehend von 45 Minuten in Richtung 0 bewegte, das Training mental im Verlustbereich starten lassen. Was zur Folge hätte, dass man sich zu Beginn so demotivierend weit vom Referenzpunkt „Ziel“ entfernt fühlt, dass man am liebsten gar nicht erst anfangen möchte. Doch je kleiner die Zahlen gegen Ende der Übung werden, desto besser, so meine Erfahrung im Selbstversuch, fühlte ich mich im Gegensatz zu früher, weil ich jede verbleibende Minute mit wachsender Sensitivität wahrnahm.

Die Konsequenz für mich lautete also, mit dem Modus „Verstrichene Zeit“ das Training zu beginnen und es im umgekehrten Modus „Verbleibende Zeit“ zu beenden. Doch wann sollte ich umschalten? Um den besten Effekt zu erzielen, nahm ich wiederum die Erkenntnisse der Prospect Theorie zu Hilfe, wonach Menschen Verluste etwa doppelt so stark wie Gewinne in gleicher Höhe bewerten. Und da ich im Modus „Verbleibende Zeit“ quasi Verluste wettmache und die „Gewinne“ der „Verstrichenen“ Trainingszeit auch noch mit abnehmender Sensitivität wahrnehme, bietet es sich an, im ersten Modus doppelt so viel Zeit zu verbringen wie im zweiten. Um also 45 Minuten Trainingszeit psychologisch optimal einzuteilen, sollte man sich von der Uhr während der ersten 15 Minuten die verstrichene und für die übrigen 30 Minuten die verbleibende Zeit anzeigen lassen.

Bei so viel Motivation braucht man wahrscheinlich kein TV-Programm zur Ablenkung mehr.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv