Zur falschen Zeit versichert
Traf unlängst meinen Freund M., der nicht gerade glücklich aussah. „Ist etwas mit den Kindern?“ fragte ich besorgt, wohl wissend, dass bei fünf Kindern immer mindestens eines ausschert und für Kopfzerbrechen sorgt. Immerhin: M‘s Ältester dürfte es bald geschafft haben; er wird demnächst das Abitur mit Glanz bestehen. Danach geht es weiter mit dem Studium, hatte mir der gute M. unlängst erzählt. Alles sei geregelt, Studienplatz, Unterbringung im Ausland – alles unproblematisch. „Nein, es ist ausnahmsweise einmal nichts mit den Kindern“ erwiderte er. Ich ahnte schon. Wenn es bei M. nicht um die Kinder geht, würde es etwas mit Geld zu tun haben. Nicht dass M. zu wenig davon hätte. Aber bei so vielen Kindern, so M., täte man natürlich etwas für die Vorsorge, weswegen er bereits im Jahre 2004 in weiser Voraussicht eine Ausbildungsversicherung für seinen Sohn abgeschlossen habe. Hoch genug, um diesem später monatlich einen stattlichen Zuschuss zum Studium auszahlen zu können.
Nun bin ich kein Freund von derlei Versicherungen, denn es handelt sich dabei letztlich nur um einen Sparplan, an dem die Versicherungsgesellschaften nicht schlecht verdienen. Doch sei’s drum: Wer Probleme mit der Spardisziplin hat, dem ist möglicherweise mit solch einem Instrument geholfen. „Na, dann hast du damals ja alles richtig gemacht“, versuchte ich durch diese Bestätigung die Stimmung meines Freundes etwas aufzuhellen. „Aus der großzügigen Unterstützung meines Sohnes wird leider nichts“, murmelte er mit gedämpfter Stimme.
„Ich habe die Versicherung im Jahr 2004 abgeschlossen, und das stellte sich im Nachhinein als suboptimal heraus“, erklärte M., der deswegen bereits seinen cleveren Versicherungsvertreter kontaktiert hatte. Der Fall war schnell gelöst: Zu jener Zeit gab es die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen die Kapitalerträge aus der Versicherung, ähnlich wie bei einer Lebensversicherung, am Ende der Laufzeit steuerfrei gutgeschrieben zu bekommen. Zu diesen bestimmten Umständen zählte aber auch, dass der Versicherungsvertrag eine Mindestlaufzeit von zwölf Jahren hat. Jetzt konnte ich nach kurzem Nachrechnen verstehen, warum M. nicht gerader guter Stimmung war. Denn 2004 zuzüglich ebendieser zwölf Jahre bedeutete, der Sohnemann würde bis zum Jahre 2016, zu einem Zeitpunkt, da ein Großteil des Grundstudiums bereits abgeschlossen sein würde, nun ohne diesen väterlichen Zuschuss auskommen müssen. Auch wenn ich es kaum zu glauben vermochte, dass eine Ausbildungsversicherung genau in dem Moment, in dem der Versicherungsfall eintritt, bei der Immatrikulation zum Studium, nicht ausgezahlt würde.
Steuervorteil darf nicht zur Triebfeder werden
M.’s Geschichte hat mir wieder einmal gezeigt, dass Menschen aufgrund eines Steuervorteils Entscheidungen treffen, die mitunter den Zweck des Grundgeschäfts in Frage stellen. Denn eine Ausbildungsversicherung, die erst nach der Ausbildung zieht, ergibt wohl keinen Sinn. Ganz davon abgesehen, dass sich die Steuerfreiheit der Kapitalerträge nicht immer sichtbar positiv auf die Rendite der Versicherung auswirkt, weil dieser Effekt in der Endabrechnung irgendwo untergeht. Aber Steuervorteile haben für den Verkäufer dieser begünstigten Produkte einen unschätzbaren Wert. Neben dem monetären Gewinn wird auch noch der Stolz des Kunden befriedigt, dem Finanzminister – legal, versteht sich – ein Schnippchen geschlagen zu haben.
Für den Verbraucher gilt dennoch, immer die Reihenfolge bei steuerlich begünstigten Geschäften einzuhalten. An erster Stelle sollte dabei die Frage stehen, ob eine Entscheidung ökonomisch sinnvoll erscheint. Und erst danach kann man prüfen, wie sich ein Steuervorteil eventuell auswirken könnte. Glücklicherweise verfügt mein Freund M. über so viele Mittel, dass er keinen Kleinkredit zu horrenden Zinsen aufnehmen muss, um den Lebensunterhalt seines studierenden Sohnes bis zum Jahr 2016 zu finanzieren.