Dollar am Morgen

Wir haben einen Deal

am
21. Juli 2020

EUR USD (1,1435)             Es ist vollbracht: Am frühen Dienstagmorgen haben sich die 27 EU-Mitgliedstaaten im Rahmen eines Sondergipfels auf das größte Haushalts- und Finanzpaket ihrer Geschichte geeinigt. Ein Gipfel, von dem wohl die Allerwenigsten erwartet hätten, dass er über vier Tage in Anspruch nehmen würde. So ist nun mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro ein Wiederaufbau-Paket geschnürt worden. Davon sollen 390 Mrd. – Deutschland und Frankreich forderten ursprünglich 500 Mrd. – als Zuschüsse an die Krisenstaaten fließen. Das verbleibende Volumen von 360 Mrd. Euro soll in Form von Krediten zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus wurde eine Einigung über den langfristigen EU-Haushalt mit einem Volumen von 1,074 Billionen Euro über die kommenden sieben Jahre erzielt. Die erste Reaktion des Euro war vielsagend: Er sprang um 20 Stellen, um diese sofort wieder abzugeben.

 

Erfolg bemisst sich nach Zielen…

Fragt man nach dem Erfolg des Gipfels, lässt sich sagen, dass der Kompromiss zum Wiederaufbau-Fonds in zweierlei Hinsicht wichtig ist. Denn mit dem Rettungspaket mag so etwas wie der Anfang für eine gemeinsame Fiskalpolitik der EU geschaffen worden sein. So wird die EU nun die Finanzierung des Rettungspakets gemeinsam sicherstellen und das Geld dahin fließen lassen, wo es in der Gemeinschaft am dringendsten benötigt wird. Zum anderen dürften aber auch diejenigen, die die EU bisweilen als dysfunktional eingestuft hatten, eines Besseren belehrt worden sein. Denn unter dem Strich scheint die EU nun eine gute Antwort auf die Covid-19-Krise gefunden zu haben.

 

…und Referenzpunkten

Aber Erfolg ist auch eine Frage des Referenzpunktes. Nicht umsonst belegen die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie, dass die Bewertung von Gewinnen und Verlusten, von Erfolg und Misserfolg, davon abhängen, nach welchem Bezugspunkt man sie bemisst. An den Finanzmärkten stellt häufig der Einstandspreis eines Engagements diesen Bezugspunkt dar. Und bei den Verhandlungen des EU-Gipfels wusste etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen Referenzpunkt ganz tief zu setzen, als sie die Erwartungen auf ein gemeinsames Rettungspaket im Vorfeld des Gipfels und während der Verhandlungen immer wieder dämpfte. Wie heißt es so schön: „Wer die Erwartungen niedrig ansetzt, kann kaum enttäuschen“.

 

Zurück zur Tagesordnung

Aus Sicht der Teilnehmer an den Finanzmärkten, insbesondere der Devisenhändler, kann man aber auch argumentieren, dass die Hoffnungen der Akteure bereits mit dem Herannahen des Sondergipfels sukzessive gestiegen waren. Zumindest spricht einiges dafür, dass bereits vielerorts eine Long-Positionierung im Euro – wie wir es an dieser Stelle gestern ausgeführt hatten – bestanden haben mag. Zumindest fand vor dem Gipfel kein Einbruch der Kurse statt. Und damit ist der Referenzpunkt dieser Marktteilnehmer, die auf den Erfolg des Gipfels gesetzt hatten, viel höher und das damit einhergehende Enttäuschungspotenzial folglich ebenfalls viel größer. Vermutlich gehen die Teilnehmer an den Finanzmärkten somit auch viel schneller wieder zur Tagesordnung über. Und diese Tagesordnung dürfte, gerade was den Dollar angeht, schon bald wieder viel mehr von Risikofreude bzw. Risikoaversion der Akteure beeinflusst werden. Dies gilt umso mehr, als bis zur Publizierung der Einkaufsmanagerindices am kommenden Freitag der makroökonomische Kalender kaum Termine von Veröffentlichungen enthält.

Und so ist es auch kein Wunder, dass der Euro gestern zwar ein neues Viermonatshoch markierte, aber bislang nicht die Kraft fand, auch noch das Jahreshoch von rund 1,1495 zu überwinden. Die Position der Gemeinschaftswährung bleibt nur günstig, solange 1,1345/50 an der Unterseite nicht unterlaufen wird.

 

Hinweis

Alle genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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