Von allem ein bisschen zu viel
EUR USD (1,1705) Ein solcher Tag musste kommen, werden sich viele Akteure gestern gesagt haben. Die Rede ist von einer Korrektur an den Aktienmärkten dies- und jenseits des Atlantiks, insbesondere beim EURO STOXX 50, der einen Tagesverlust von zeitweise 3 Prozent zeitigte. Nun hat es solche Einbrüche in den vergangenen Monaten schon häufiger gegeben, und jedes Mal hatte man den Eindruck, es könnte das Ende des Aufwärtstrends bedeuten, der im März seinen Ursprung hatte.
Explosive Mischung
Den Marktteilnehmern dürfte es gestern nicht schwer gefallen sein, die Gründe für den Aktien-Abverkauf aufzuzählen. Gründe, die den Akteuren schon längst bekannt waren und für sich allein betrachtet mental schon längst abgearbeitet schienen. Aber es mag wohl an der Zusammensetzung der gestrigen Informationen gelegen haben, die zu einer Entladung in den Märkten geführt hat.
Allen voran die Covid-19-Ängste, die nun selbst in Deutschland so real geworden sind, dass man sie nicht mehr einfach wegdiskutieren kann. Vor allen Dingen nicht an einem Tag, an dem bei den Neuinfektionen ein neuer Rekordwert vermeldet wird. Aber der Trend und die teils massive Steigerung bei den Infektionszahlen, samt der Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit der Menschen einschränken, bis hin zu einem irgendwie gearteten Lockdown in manchen Ländern, waren eigentlich bereits in der vergangenen Woche erkennbar. Und bis Montag legten Aktien der Eurozone, gemessen am EURO STOXX 50, immerhin noch sechs Tage hintereinander einen Gewinn hin.
Kleineres Päckchen packen
Auch die schwindende Wahrscheinlichkeit der Verabschiedung eines Stimulus-Pakets in den USA noch vor dem Wahltermin am 3. November, weil sich Demokraten und Republikaner über dessen Größenordnung nicht einigen können, sollte die Akteure nicht wirklich irritiert haben. Aber dennoch hofft man mancherorts offenbar immer noch auf einen Last-Minute-Kompromiss – schließlich sollen Finanzminister Steven Mnuchin und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, angeblich unermüdlich daran arbeiten. Ganz zu schweigen von US-Präsident Donald Trump, der sich auch gestern immer noch für einen großen Deal mit einem Volumen von fast 1,9 Billionen Dollar stark machte. Wenn da der US-Senat nicht wäre. Und dabei ist es nicht einmal nur der Mehrheitsführer Mitch McConnell, der nur ein abgespecktes Konjunkturpaket (500 Mrd. USD) durchwinken würde. Manche Republikaner im Senat lehnen selbst das ab.
Stillstand nicht ausgeschlossen
Nun gehen viele Marktteilnehmer und vor allem die Meinungsforschungsinstitute davon aus, dass Joe Biden Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl um Längen schlagen wird. Und auch das Repräsentantenhaus dürfte demnach mit großer Mehrheit an die Demokraten gehen, die nach gängigem Verständnis ein riesiges Stimulus-Paket auf den Weg bringen könnten. Vielerorts glaubt man sogar an einen Erdrutschsieg der Demokraten. Aber selbst wenn Donald Trump die Wahl tatsächlich verlieren sollte, heißt das noch nicht, dass die Republikaner auch im Senat ihre Mehrheit abgeben müssten. Ein Punkt, der derzeit mancherorts ausgeblendet wird. Aber es ist die genau diese Mehrheit, die die Demokraten benötigen, um ein substanzielles Konjunkturpaket tatsächlich verabschieden zu können. Andernfalls droht nämlich sogar ein fiskalpolitischer Stillstand.
Trendlos und angezählt
Man könnte die Liste der Belastungen (etwa die nicht enden wollenden Brexit-Verhandlungen, die wieder einmal in die Verlängerung zu gehen scheinen) beliebig erweitern. Aber es war wahrscheinlich vor allen Dingen dem Verfügbarkeitsirrtum[1] geschuldet, dass die gestrigen Covid-19-Nachrichten aufgrund ihrer örtlichen Nähe und dramatischen Kommentierung besonders stark wahrgenommen wurden. Und so war es auch kein Wunder, dass der Dollar wieder einmal als „sicherer Hafen“ gefragt war. Ohnehin sehen wir den Euro derzeit in einer trendlosen, aber angeschlagenen Position mit Risiko bis auf zunächst 1,1655/60, darunter auch bis 1,1590. Eine Stabilisierung der Gemeinschaftswährung wäre nach Überschreiten von 1,1820 möglich.
Hinweis
Die genannten Preisniveaus verlieren ab einer bestimmten Durchstoßgröße ihre Gültigkeit. Diese beträgt für EUR/USD 5 Stellen.
[1] Der Verfügbarkeitsirrtum besagt, dass orts- und zeitnahe sowie farbige und dramatische Informationen gegenüber anderen Nachrichten vorgezogen werden, was häufig zu deren Überbewertung führt.