Behavioral Living

Teurer Regen

am
18. Mai 2011

Nach 24 Jahren und Wochen schönsten Wetters – ich kann mich an keinen so sonnenreichen Frühling in Frankfurt erinnern – habe ich mich endlich dazu durchgerungen, ein neues Fahrrad zu kaufen. Zumal das alte erst vor ein paar Tagen von ein paar Vandalen durch rohe Gewalt fahrunfähig gemacht wurde. Frohen Mutes begab ich mich in ein alt eingesessenes Geschäft in der Frankfurter Innenstadt und entschied mich für ein recht preisgünstiges Modell. Ohne Schnickschnack mit einer 7-Gangschaltung, Rücktritt et cetera. Nein, ich bin kein begeisterter Radfahrer und benutze das neu erworbene Vehikel lediglich für meine Fahrten zwischen dem Büro und meinem Zuhause. Und das eigentlich nur bei trockenem Wetter. Beim Kauf des Rades bedeutete mir der Händler jedoch, ich müsse mich noch ein paar Stunden in Geduld üben, da das Gefährt erst hergerichtet werden müsse.

Stunden später, mittlerweile war es früher Abend, machte ich mich wieder auf den Weg zum Fahrradhändler, als es plötzlich richtig zu regnen anfing. Ich betrat das Geschäft, und der Verkäufer stand schon samt Rad wie bestellt da. Neben ihm hatte sich die Chefin aufgebaut, die mich zunächst skeptisch musterte, dann richtig strahlte, durch die Glastür des Ladens blickte und angesichts des starken Regens mit bedeutsamer Miene und fast schon siegesgewiss in meine Richtung fragte: „Poncho?“. Und da ich nicht völlig durchnässt zu Hause ankommen wollte, nickte ich bejahend: „Poncho!“ Doch als ich den Preis für den knallroten Plastikumhang (fast 10 Prozent des Preises für das Fahrrad) sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich erinnerte mich an meinen jüngsten Anzugkauf, bei dem ich mir immer wieder eingebläut hatte, nur ja nicht auch noch Accessoires zu erstehen, weil der Einzelhandel an denen am meisten verdient. Denn manch einer sagt sich, auf die Kosten für ein neues Hemd und eine schicke Krawatte käme es bei so einem teuren Anzug auch nicht mehr an.

Die Chefin sah mein Zögern und bot mir als Alternative einen Einmal-Poncho an, den ich angesichts der Wettervorhersage für die kommenden Tage und wegen seines Aussehens jedoch ablehnte. Ich saß in der Falle, bezahlte mürrisch, bin mir jetzt aber sicher, dass aus mir ein richtiger Radfahrer werden wird, der jedem Wind und allen Wettern trotzen kann.

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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