Investmententscheidungen Märkte

Stopp-Loss-Aversion II

am
27. Mai 2011

Verluste sind nicht angenehm, vor allem nicht wenn man sich mit ihnen bereits vor einer Entscheidung auseinandersetzen soll. Denn die meisten von uns gehen prinzipiell davon aus, dass ihre Entscheidungen profitabel verlaufen. Und wenn doch Verluste eintreten, gleichen sich diese ohnehin wieder aus, sind viele Anleger überzeugt. Man müsse nur genug Zeit und Geduld mitbringen, um in 80 Prozent der Fälle seinen Einstandspreis wiederzusehen.
Davon gehen selbst die meisten Profis an der Börse aus. Und weil man in 20 Prozent der verbleibenden Fälle – dieser Anteil mag durchaus auch noch niedriger ausfallen – mit einem oft recht hohen Verlust konfrontiert wird, sind für mich Stopp-Loss-Marken unerlässlich. Dies habe ich unlängst in einem Blog erläutert. Doch ein Leser wies darauf hin, dass man mit einem Stopp-Loss am berüchtigten Tag des „Flash Crash“ an Wall Street, am 6. Mai 2010, alt ausgesehen hätte. Wir erinnern uns: Der US-Aktienmarkt hatte innerhalb einer Nacht nicht nur 10 Prozent seines Wertes verloren, sondern sich anschließend so schnell erholt, dass man, wenn man ohne Stopp-Loss gearbeitet hätte, ein paar Tage später sogar reicher als vor dem besagten Flash Crash gewesen wäre. Soll man also doch keine Verlustbegrenzungen setzen?

Tatsächlich hatte es ein derartiges Ereignis an der Börse zuvor noch nie gegeben. Viel häufiger ist hingegen in der Geschichte der Fall aufgetreten, dass Märkte in einer Abwärtsbewegung selbst nach Auslösen vieler Stopp-Loss-Marken noch tiefer gefallen sind. Man denke nur an die Zeiten der Dotcom-Blase oder an die Telekom-Aktie, wobei sich viele Anleger darüber ärgern dürften, nicht vor Jahren diszipliniert diesen Märkten den Rücken gekehrt zu haben. Weil man sich dachte: Das wird schon werden. Den weiteren Verlauf der Geschichte kennen Sie.

Allerdings habe ich in meiner Zeit als Devisenhändler Situationen erlebt, die durchaus mit oben genanntem „Flash Crash“ vergleichbar waren. So hatte ich etwa eine Dollar-Position übers Wochenende brav mit einem Stopp-Loss versehen. Wurde dann am darauf folgenden Montag im dünnen Markt in Neuseeland ausgestoppt – drei Prozent Verlust waren festgeschrieben. Es dauerte nur Stunden, meist nur bis zur Eröffnung des Handels in Europa, bis der Dollar wieder auf sein altes Kursniveau zurückgefunden hatte. Da saß ich nun, ausgestoppt, und der Dollar lachte mir entgegen, als ob nichts passiert wäre. Und ich musste auch noch weiterhandeln!

Ich habe aus dieser Geschichte eine Konsequenz gezogen und benutze seither keine Intraday-Stopps mehr. Stattdessen suche ich mir einen ganz bestimmten Zeitpunkt des Tages aus, an dem ich jeweils überprüfe, ob meine Position den von mir gesetzten Stopp-Loss verletzt hat. Wenn ja, wird das Engagement aufgelöst. Das gleiche gilt übrigens auch für Gewinnmitnahmen. Diese Methode hat den klaren Vorteil, dass man nicht durch eine Zufallsbewegung oder gar temporäre Manipulationen aus dem Markt geworfen wird. Leider ist damit auch ein Nachteil verbunden: Sie müssen im Ernstfall bis zu 24 Stunden (am Wochenende auch länger), also bis zum theoretischen nächsten Handelszeitpunkt ausharren, wenn die Kurse gegen Sie, aber auch wenn Sie zu ihren Gunsten laufen. Gewinne laufen zu lassen (verbunden mit der Angst, sie wieder hergeben zu müssen) fällt vielen nämlich noch schwerer, als Verluste zu begrenzen.

SCHLAGWÖRTER
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10 Kommentare
  1. Antworten

    Dr. Sebastian

    27. Mai 2011

    Hallo alle Stop-Loss-Anhänger,
    eine Stop-Loss-Strategie ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht zu begründen.
    Wo soll man den Stop setzen? Je nachdem, wieviel Verlust man sich leisten will.
    Was macht man mit dem Kapital nach einem realisierten Stop? Ok – festverzinslich anlegen, aber wie lange? Oder präziser gefragt – wann soll man wieder investieren? Was sind die Entscheidungskriterien hierfür? Charttechnische Marken? Indikatoren? Jeder Student im 5. Semester für Volkswirtschaft oder Makroökonomie oder Finanzwirtschaft weiß, dass nach der Hypothese der effizienten Märkte von Fama und der Unmöglichkeit der Kursprognosen (genauer Renditenprognosen) nach Nobelpreisträger Samuelson. Dem entsprechend gibt es keinen geeigneten Zeitpunkt für einen Exit (Stop-Loss) und keinen für einen Entry.
    Es gibt jedoch gemäß der subjektiven Einschätzung der persönlichen Risikoneigung eine theoretische Herleitung, welchen Anteil des freien persönlichen Kapital man in risikolose festverzinsliche Wertpapiere und welchen Anteil in risikante Wertpapiere (Aktien) investieren soll und in welcher Periodizität etwa (kostenabhängig) man sein Depot rebalancieren soll.
    Eine bisher erfolgreiche Strategie, die zumindest größere Drawdowns vermeidet, wird in www. mawero.de gezeigt.
    Viel Erfolg.
    Dieter Sebastian

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      27. Mai 2011

      Es ist schön, dass Sie auf unserem Blog die Gelegenheit nutzen, Werbung für Ihren eigenen Ansatz zu machen – das soll Ihnen unbenommen bleiben. In Sachen Stopp-Loss bin ich allerdings kompromisslos – auch wenn Sie eine derartige Strategie wissenschaftlich für nicht begründbar halten. (Beleg?) Dass Finanzmärkte prognostizierbar sind – darüber habe ich im Blog übrigens nicht geschrieben.

      Allerdings habe ich ein Problem mit der Theorie effizienter Märkte, die man den Studenten im 5. Semester VWL oder Makroökonomie oder Finanzwirtschaft (leider) mancherorts immer noch als „state-of-the-art“ beibringt. (Dazu der Nobelpreisträger Daniel McFadden in Lindau 2008: „Wir werden uns fragen müssen, ob es sich bei der Theorie von der Markteffizienz wirklich um gute Wissenschaft handelt“.) Spätestens mit Kahneman & Tversky ist doch nachgewiesen worden, dass die meisten Menschen mit Gewinnen und Verlusten unterschiedlich umgehen – letztere werden im Schnitt von den meisten Menschen zwei bis zweieinhalb Mal so stark wie Gewinne in gleicher Höhe wahrgenommen. Und das führt zum Dispositionseffekt, wonach Gewinne zu früh realisiert und Verluste laufengelassen werden, mithin Verlierer oft länger als beabsichtigt gefesselt in den Finanzmärkten bleiben.

  2. Antworten

    AdiHadi

    28. Mai 2011

    Es gibt keine Märkte mehr, sondern nur noch Manipulation. Sollten heutige Märkte prognostizierbar sein, hätten wir wohl alle eine Gulfstream vor der Haustür. Haben Sie einen Privatjet?

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      28. Mai 2011

      Ich fürchte, wenn Märkte zu 100 Prozent prognostizierbar wären, gäbe es keinen mehr, der mit uns handeln wollte und somit wahrscheinlich keine Märkte mehr. Und der Privatjet? – Ich mache mir nichts Statussymbolen, die letztlich mein persönliches Wohlbefinden nicht erhöhen. Und Sie werden lachen: Ich habe während der vergangenen 20 Jahre noch nicht einmal ein eigenes Auto besessen.

  3. Antworten

    Rowe

    10. August 2012

    „dass man nicht durch eine Zufallsbewegung oder gar temporäre Manipulationen aus dem Markt geworfen wird.“

    Das betrifft dann wohl die illiquiden Tageszeiten.

    Grüße
    Rowe

    • Antworten

      Joachim Goldberg

      10. August 2012

      In der Tat. So etwa zu Wochenbeginn, wenn der Devisenhandel im dünnen Markt in Neuseeland beginnt.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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