Gesellschaft Wirtschaft

Späte Kontrolle

am
11. Mai 2012

Las unlängst in der FT einen Kommentar von Martin Taylor, ehemaliger CEO von Barclays, in dem er sich wundert, warum es so lange gedauert habe, bis sich die Aktionäre gegen die hohe Bezahlung der Banker aufgelehnt hätten. Natürlich kann man den Zeitgeist dafür verantwortlich machen, der erst jetzt die bis dahin weit verbreitete Haltung in der Industrie in Frage stellt, wonach es sich bei der Entlohnung der Bankmanager um die gerechte Verteilung ehrlich und im fairen Wettbewerb erarbeiteter Gewinne handele. Oder man könnte argumentieren, es brauche ganz einfach Zeit, bis die kritische Masse aus Wutbürgern und aufmerksamen Aktionären erreicht sei, die dann darauf dringen, die teils exzessive und fehlgeleitete Entwicklung bei der Bezahlung von (Bank)-Führungskräften zu korrigieren.

Martin Taylor hat für die stark verzögerte Revolte der Aktionäre indes drei andere, für ihn entscheidende Gründe ausfindig gemacht. Einmal hätten sich die Halteperioden der Aktieninhaber mittlerweile so stark verkürzt, dass sich diese kaum mehr mit den Unternehmen identifizierten. Das ist nachvollziehbar. Das zweite Argument, dass ein Fondsmanager, der in einer Bankaktie untergewichtet sei, möglicherweise ein geringeres Interesse habe, gegen überhöhte Managergehälter einzuschreiten, als ein in derselben Aktiengesellschaft übergewichteter Marktteilnehmer, mag ich indes nicht so recht teilen. Denn selbst ein (möglicherweise nur temporär) untergewichteter Fondsmanager ist trotzdem noch Anteilseigner an der Aktiengesellschaft. Einleuchtender mag das dritte Motiv sein. Danach würden zumindest institutionelle Fondsmanager nichts an der hohen Gehaltsstruktur der Banker finden, weil sie selbst nach ähnlichen Regeln bezahlt würden. Nach dem Motto, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Die wichtigste Antwort für die späte Reaktion der Aktionäre auf die Banker-Boni dürfte dagegen aus der Psychologie kommen. Danach haben die Menschen bei Verlusten generell ein stärkeres Kontrollbedürfnis als bei Gewinnen. Ein Phänomen, das man auch in sehr vielen Unternehmen selbst finden kann. Sprudeln die Profite – wie auch einst im Investmentbanking – stellt kaum jemand kritische Fragen darüber, wie diese zustande gekommen sein mögen. Ja, es würde fast schon am Blasphemie grenzen, wenn jemand angesichts einer hervorragenden Bilanz die Frage aufwerfen würde, ob unter den gegebenen Umständen nicht noch mehr hätte verdient werden müssen – zusätzliche Gewinne, die möglicherweise in schlechten Zeiten fehlen.

Im Gegenzug wird Kritik immer dann laut, wenn Verluste entstanden oder Gewinnziele deutlich verfehlt (gleichbedeutend mit relativen Verlusten) worden sind. Und auch nach den Schuldigen beginnt man erst zu suchen, wenn mehrere oder im Extrem gar die Gesellschaft als Ganzes unter den Verlusten leidet. Dann ist Kontrolle etwas ganz Normales, und das Geschrei, dass womöglich Gewinne verteilt wurden, die gar nicht erwirtschaftet worden sind, darf dann besonders laut sein.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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