Märkte Politik

Facettenreicher Abschied von Sparprogrammen

am
10. Mai 2012

Zwar schickt man sich in Europa nach den Präsidentschaftswahlen in Frankreich und den Regionalwahlen in Großbritannien an, von den in erster Linie deutschen Spardiktaten Abschied zu nehmen. Doch von einer drastischen Kehrtwende, wie sie den Radikalen Linken in Griechenland vorschwebt, wollen die europäischen Partner gar nichts wissen.

Interessanterweise waren in einer Umfrage vor den Parlamentswahlen zwei Drittel der Griechen immerhin noch der Ansicht, ihr Land solle in der Eurozone bleiben. Das Wahlergebnis zeigt indes, dass man mit den Bedingungen dafür offenbar nicht einverstanden ist. Kein Wunder, wenn sich viele Investoren von den wahrscheinlichen Neuwahlen in Griechenland auch keine neuen Erkenntnisse versprechen – das Land wird im besten Fall (wenn überhaupt) von einer Mehrparteienkoalition regiert werden müssen. Dabei wird das griechische Bündnis der Radikalen Linken beim nächsten Mal womöglich ein Viertel der Wählerstimmen auf sich vereinigen können. Dass jene den Schuldendienst einfach einstellen, ist natürlich inakzeptabel. Aber es scheint sich immer deutlicher herauszukristallisieren, dass eine Währungsunion ohne die Möglichkeit von Transferzahlungen auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten ist.

Immerhin liefert die Deutsche Bundesbank einen Denkanstoß, indem sie zumindest vorübergehend höhere Inflation und steigende Löhne in Deutschland akzeptieren könnte, um die hiesige Binnennachfrage und die Importe anzuschieben. Unterdessen könnten angeschlagene Staaten an der Peripherie Europas durch Preis- und Lohnsenkungen wettbewerbsfähiger gemacht werden. Abgesehen davon, dass man Inflation nicht durch Herbeireden schaffen kann, wie das Beispiel Japan zeigt, dürfte dieser Weg des Transfers Jahre in Anspruch nehmen, bis seine Wirksamkeit sichtbar wird. Ein Zeitraum der für Griechenland schlicht und einfach zu lang sein dürfte. Griechenland braucht indes zumindest eine schnelle und auf kurze Sicht wirksame Perspektive. Allein schon um den Zustand der Unregierbarkeit rasch zu beenden. Dazu gehört aus deutscher Sicht, das unsinnige Spardiktat so schnell wie möglich zu modifizieren. Auch unter Inkaufnahme des psychologischen Nachteils eines vermeintlichen Kontrollverlusts. Schließlich war es ohnehin nur eine Illusion, Griechenland „erziehen“ zu können.

Was dies für die Stimmung an den Finanzmärkten bedeutet, erfahren Sie in meinen heutigen Interviews bei n-tv (mit Sabrina Marggraf, ab 11:48 Uhr) und beim Deutschen Anlegerfernsehen (DAF), das Andreas Scholz mit mir führte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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