Behavioral Living

„10.000 bei erster Diagnose“

am
21. Mai 2012

Da erhielt ich doch vor einigen Tagen den Anruf einer netten Dame von American Express, wo ich Kunde bin. Und eben weil ich das schon so lange sei, bot sie mir eine Partnerkarte für meine Frau an. Nachdem ich höflich mein Desinteresse daran bekundet hatte, kam die Telefonverkäuferin zum eigentlichen Kern ihres Anrufs. Es sei ihr peinlich, darüber sprechen zu müssen, behauptete sie. Weil es sich American Express zur Aufgabe gemacht habe, nicht irgendwelche Versicherungen zu verkaufen, sondern dort, wo andere Unternehmen nicht leisten wollten oder könnten, für ihre Kunden diese Versorgungslücke zu schließen. „Nein, Herr Goldberg“, sagte sie mit Tremor in der Grabesstimme, „es ist kein schönes Thema, worüber ich jetzt mit Ihnen sprechen muss. Was glauben Sie? An welcher Krebsart erkranken die meisten Männer?“ Sofort musste ich an Warren Buffett denken. Und der Gebrauch der Verfügbarkeitsheuristik lieferte mir sofort die Antwort: Prostatakrebs. „Richtig!“, erscholl es am anderen Ende der Leitung. Ich will Ihnen keine Angst machen, es ist mir auch wirklich unangenehm, aber so viele Männer bekommen das – Sie sind mir doch nicht böse, wenn wir darüber sprechen?“ Ich entgegnete nur: „Sie versichern also…?“ – „10.000 Euro bei erster Diagnose, bar auf die Hand“, hauchte die Stimme in die Hörermuschel, „ich weiß, das kann die Krankheit nicht wegzaubern, aber …“  Schon malte ich mir aus, wie ich zwischen Diagnose und OP noch einmal einen schönen Urlaub machen würde, um mich von den Schrecken, die zu Hause meiner harrten, für kurze Zeit abzulenken.  

Aber damit noch nicht genug. Die clevere Telefonverkäuferin, mittlerweile deutlich weniger betroffen, stellte noch 100 Euro Krankenhaustagegeld in Aussicht. Und für den Worst-Case (im Falle, dass ich mich von meinen beiden ältesten Freunden trennen müsste) noch einmal 20.000 Euro. Und eine Unfallversicherung, die ich gar nicht benötigte.

„Und das Ganze“, flötete die junge Dame verführerisch, „nicht für 100, nicht für 50, sondern für ganze 18,90 Euro im Monat. Sie müssen nur noch Ja sagen, und Sie haben ab sofort Versicherungsschutz, werden aber erst mit der nächsten Kreditkartenabrechnung belastet.“  Ich war überwältigt und wollte, obwohl ich den Trick mit dem unrealistisch hohen Referenzpunkt von 100 Euro sofort durchschaut hatte, kurz nachrechnen, ob sich die Angelegenheit lohnen würde. Aber keine Chance. Die resolute Verkäuferin setzte sofort nach und fragte: „Darf ich notieren? Sie bekommen dann alles zugeschickt: Vertragsunterlagen, AGB (ja, ja, der amerikanische Partner ACE könne einfach besser leisten als jeder deutsche Versicherer). Und wenn Ihnen das alles nicht gefällt, können Sie ganz problemlos vom Versicherungsvertrag zurücktreten. Außerdem haben Sie nur eine einmonatige Kündigungsfrist. Ich garantiere Ihnen, es ist das Beste vom Besten. Und die Beiträge sind auch nicht dynamisch, sondern bleiben stabil!“

Zum Glück ließ mich mein seit Jahren in Behavioral Economics geschultes Gehirn dann doch nicht im Stich. Und ich erinnerte mich an all die zahllosen Verkaufsshows im Fernsehen, in denen mit prächtigen Versprechungen Staubsauger mit fünf Saugarmen und einem lebenslänglichen Rückgaberecht verkauft werden. Ein Rückgaberecht, von dem die wenigsten übrigens Gebrauch machen, nachdem sie das gute Stück erst einmal in Besitz genommen haben (Besitztumseffekt). Ich stellte mir vor, dass ich im Zweifel gerade diese am Telefon abgeschlossene Versicherung vielleicht aus Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit ebenfalls nicht kündigen würde. Als ich die nette Dame fragte, ob sie mir denn nicht zuerst die Versicherungsbedingungen und das Vertragsformular zuschicken könne, verneinte sie, mit der Begründung, das sei eben Telefonverkauf: kostengünstig, schnell und direkt. Sie könne verstehen, dass ich etwas gegen diese Art des Geschäftsabschlusses habe, begann sie. Was genau es denn sei, was mich abschrecke, wollte sie wissen, vermutlich um unsere Konversation in ein Kundeneinwand-Entkräftigungsgespräch einmünden zu lassen. Aber ich fand, dass unsere Plauderei ohnehin schon viel zu lang gedauert hatte und legte einfach auf.

Ich erinnerte mich daran, wie Warren Buffett nach seiner Krebsdiagnose gesagt hatte, er halte es für wahrscheinlicher von einem eifersüchtigen Ehemann umgebracht zu werden als an Prostatakrebs zu sterben. Der Verkäuferin hätte ich davon aber nichts erzählen wollen. Sonst hätte sie mir womöglich noch eine Versicherung angeboten.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE
2 Kommentare
  1. Antworten

    Dirk Simon

    22. Mai 2012

    Schön 🙂
    Ich hatte vor einigen Monaten auch mal einen Anruf eines Herrn Krause, von irgendeiner Aktienberatungsfirma, deren Namen ich mir nie eingeprägt habe. Ich solle doch sein Kunde werden und seinen todsicheren Aktienempfehlungen folgen, für eine Performance-Fee von 10%.
    Zum Kennenlernen schlug er mir damals ein frisch gelistetes Unternehmen im Bereich der regenerativen Ernergien vor und garantierte mir geradezu Gewinne von mittelfristig 1000% und langfristig wohl eher eine Verhundertfachung. „Vor einer Woche für 3,80 an die Börse gekommen, jetzt schon bei 4,20. Die ersten 10% haben Sie schon verpasst, aber ab heute können Sie die Rendite mitnehmen!“
    Auch ich versuchte, um ihn abzuwürgen, erst einmal Informationen zum Unternehmen und zur Aktie in schriftlicher Form zu bekommen. Wurde mir auch zugesagt, aber der nächste Anruf eine Woche später kam schneller als die Pdf-Dateien. Dieses Spielchen wiederholten wir mehrere Male und Herr Krause blieb durchaus sehr hartnäckig. Es dauerte 6 oder 7 Anrufe, bis ich es, stets freundlich, geschafft hatte, dass mich Herr Krause grob und derb beleidigte und einfach auflegte. Endlich Ruhe 🙂
    Bis heute. Herr Krause war wieder gut mit mir und hatte eine neue Empfehlung, diesmal Goldaktien. Wieder ein heißer Tip! Jetzt einsteigen, denn am Start erkennt man den Sieger!
    Während er weiter textete schaute ich mal schnell nach dem Kurs der letzten Empfehlung. Wow, heute schon wieder ein richtig dickes Plus! Die Aktie ist damit schon wieder 6 Cent wert 😀

    Herr Krause wäre aber nicht Herr Krause, wenn er dieses Argument gegen seine Dienstleistung gelten lassen würde. Er setzt wieder zu einem seiner Monologe an. Wie lange es dauerte, bis er gemerkt hat, dass ich aufgelegt habe, frage ich ihn beim nächsten mal. Wahrscheinlich nächste Woche…

  2. Antworten

    Frank

    24. Mai 2012

    Also ich mache bei solchen Anrufen schnellstmöglich klar dass ich kein Interesse habe, ohne mir auch nur irgendwelche Details anzuhören und wenn sie es nicht hören wollen und einfach weiter ihren Text wiedergeben, verabschiede ich mich und lege auf.

    Erstens habe ich sowieso kein Interesse irgendwas zu kaufen und schon gar nicht jetzt und von der Firma die anruft. Und falls ich wirklich was kaufen will, dann informiere ich mich vorher, vergleiche und kaufe dann dort wo es mir am besten erscheint, aber doch nicht beim erstbesten der anruft. Echt verwunderlich, dass so ein Vertriebsmodell immer noch zu funktionieren scheint.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv