Behavioral Living

Schwerwiegende Probleme

am
25. Februar 2013

Übergewicht und Abnehmen sind ein Leit- und Leidmotiv in meinem Leben, und wie viele andere muss auch ich immer wieder feststellen, dass es keine Diät gibt, bei der man nicht hinterher wieder das mühsam abgespeckte Gewicht zunehmen würde. Ob es sich nun um Pulverdiäten, Weight Watchers oder Trennkost handelte – stets verlor ich ziemlich schnell etliche Kilo, aber über kurz oder lang kehrten diese leider immer wieder auf meine Hüften zurück.

Nein, ich möchte mich jetzt nicht den Tipps der Verhaltensökonomen anschließen und vor den Lesern dieses Blogs als Zeugen eine neue Diät versprechen, um damit ein künstlich hohes Commitment einzugehen – ein Tipp, den Christin Stock und ich in unserem neuen Buch Genial einfach entscheiden gegeben haben. Denn ein erhöhtes Commitment bindet einen stärker an eine Entscheidung, als wenn man eine solche nur im stillen Kämmerchen trifft. Zeugen stellen quasi eine Norm dar, von der man nicht ohne hohe psychologische Kosten wieder abweichen kann.

Unlängst habe ich mich durch einige Diät-Foren im Internet gequält, wo etliche Menschen Andere mit detaillierten Schilderungen ihres Abnehmprogramms samt aller mehr oder weniger kalorienreichen Ausrutscher malträtieren. Häufig gehört dazu auch die Veröffentlichung der persönlichen Erfolgskurve, gemessen in Kilogramm, einer Währung, die zumindest unter Übergewichtigen mindestens so hart gehandelt wird wie sonst der Euro oder Dollar. Kürzlich las ich allerdings, man solle sich nicht jeden Tag wiegen, denn der Wasserhaushalt des Körpers schwanke schnell einmal um ein Kilo mehr oder weniger – wichtig sei alleine das langfristige Ergebnis.

 

Einmal Wiegen pro Woche reicht

Trotzdem kenne ich nicht wenige Menschen, die sich jeden Tag zur Kontrolle und Selbstmotivation immer zur gleichen Zeit (meist morgens, nackt und ungefrühstückt) auf die Waage stellen. Und die meisten machen sich dabei nicht glücklich, denn nach den Erkenntnissen der Behavioral Economics wiegen Verluste etwa doppelt so schwer wie Gewinne in gleicher Höhe. Will sagen 200 Gramm Gewichtszunahme (Verlust) wiegen doppelt so schwer wie 200 Gramm Gewichtsabnahme (=Gewinn für den Diätwilligen) von einem Tag zum anderen[1]. Gerade wenn man langsam abnehmen möchte – und dies ist eine oft gegebene Empfehlung der Gesundheitsfachleute – kann ein schöner stetiger Erfolg zum mentalen Misserfolgserlebnis werden, wenn man sich zu häufig wiegt.

Auch wenn einen die Neugierde immer wieder ins Badezimmer treibt, weil man einfach wissen will, ob die Entsagung aller Gaumengenüsse bereits Erfolge gezeitigt hat: Das Aggregieren dieser mentalen Gewinne und Verluste, die sich betragsmäßig nicht großartig voneinander unterscheiden, kann Wunder bewirken. Für die Praxis heißt dies: Einmal wiegen pro Woche macht glücklicher als der tägliche Gang zur Waage.



[1] Eine Gewichtskurve von -300g (Abnahme),  +100g (Zunahme), -100g, -200g, +/-0g, +200g bringt auf eine Woche betrachtet einen Gewichtsverlust (Gewinn) von 300g, während die tägliche Wahrnehmung der Einzelwerte  bei einer doppelt so starken Bewertung der Gewichtszunahmen im Vergleich zu den –verlusten bei einer  Kurve von -300g, + 200g (=2×100), -100g, -200, 0g, +400g (=2×200) in Summa wirkt, als ob man kein Gramm Gewicht verloren hätte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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