Positionsgüter sind kein Nullsummenspiel (Positionsgüter Teil 2)
Im vergangenen Blog-Beitrag erwähnte ich Fred Hirsch und seine Ökonomie der Positionsgüter. Seiner Ansicht nach bestimmt sich der Nutzen eines solchen Gutes nicht nach dessen absoluten, sondern relativen Wert, also im Vergleich zu einem Bezugspunkt. Dieser ergibt sich naturgemäß meist aus dem sozialen Umfeld, im Abgleich mit Leuten, die höher oder niedriger als wir selbst auf der sozialen Leiter rangieren. Demzufolge ist ein Positionsgut dazu geeignet, den eigenen Rang auf dieser Leiter gegenüber Dritten zu manifestieren. Mehr noch bemisst sich dessen Wert an der Exklusivität, mit der man seinen Besitz für sich reklamieren kann. Und wenn schon andere diesen Gegenstand ebenfalls ihr eigen nennen dürfen, dann ist es ganz entscheidend, um wen es sich dabei handelt, wobei natürlich gilt, dass mehr hier in jedem Fall weniger bedeutet. Was für alle und jeden erschwinglich ist, taugt nun mal nicht zum Positionsgut. Anders ausgedrückt: Positionsgüter sind Ressourcen, die knapp und nicht ohne weiteres vermehrbar sind und ihren Wert im Zuge „sozialer Prozesse“ dadurch verlieren, dass sie von anderen Menschen ebenfalls genutzt werden.[1]
Dazu gehört nicht nur eine natürliche Knappheit, sondern auch eine Knappheit, die sich aus der Einzigartigkeit bestimmter Dinge ergeben kann, an der sich sein Nutzer erfreut. Man denke nur an seltene Kunstwerke, Antiquitäten oder alte Weine. Am Ende könnte man auch von einem physischen Engpass sprechen. Fred Hirsch verweist aber auch auf gesellschaftliche Beschränkungen von Positionsgütern, die sich aus psychologischen Motiven wie Neid, Nachahmung oder Stolz herleiten lassen. Also wenn die Befriedigung aus einem Positionsgut von dessen symbolischer Bedeutung herrührt.
Soziale Vergleiche schon bei Kindern
So können wir bereits bei kleinen Kindern beobachten, dass der absolute Wert eines zur Verfügung stehen Gutes nicht alleine ausschlaggebend ist. Meine drei jüngeren Kinder mögen vielleicht ein wenig nörgeln, wenn sie an einem Tag ein großes Stück Kuchen und an einem anderen Tag ein kleines Stück bekommen. Solange jedes von ihnen ein gleich großes Stück erhält, scheinen sie dennoch zufrieden zu sein. Richtig laut wird es erst, wenn die Plagen unterschiedlich große Stücke bekommen: Automatisch entsteht eine interne Rangfolge. Dabei hat das einzelne Kind das Gefühl, die Größe des Kuchenstücks entscheide über die Position innerhalb der Familie. Etwa nach dem Motto: „Wenn ich das größte Kuchenstück bekomme, haben mich meine Eltern am liebsten.“ Daran ändert auch nichts, wenn ich den Kindern versuche beizubringen, dass das etwas üppiger zugeteilte Stück für die Schwester nicht zwangsläufig die Größe der eigenen Portion verringert. Trotzdem ist der Kuchen in diesem Moment wie ein knappes Positionsgut, da er zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt: Seine Größe ist messbar, und die anderen können sehen, wie viel jeder davon erhält.
Positionsgüter machen Gesellschaft nicht glücklich
Das gilt auch für viele andere Güter wie Autos, Handys oder ähnliche Statussymbole: Nicht deren absolute, sondern die relative Größe im Kontext ist entscheidend. Denn immer handelt es sich um Güter, deren Wertschätzung in besonders hohem Maße vom sozialen Umfeld abhängt. Typischerweise sind die stärksten Positionsgüter diejenigen, deren Produktion sich nicht einfach steigern lässt. Denn nicht jeder kann das größte Haus, das Zimmer mit der schönsten Aussicht, nicht jeder den bestbezahlten Job oder den Chefsessel bekommen. Und wenn die einen in einer so genannten „besseren Gegend“ wohnen, folgt daraus zwangsläufig, dass andere Wohnquartiere weniger „gut“ sein müssen.
De facto ist die so genannte Positions-Ökonomie auf den ersten Blick ein Null-Summen-Spiel in Sachen gesellschaftlichen Wohlbefindens, bei dem die einen gewinnen können und die anderen verlieren müssen. Im Extremfall gewinnt sogar nur einer, und alle anderen verlieren. Aber nur auf dem Papier. Denn die Behavioral Economics lehrt uns, dass Menschen mit Gewinnen und Verlusten unterschiedlich umgehen. Der Blick nach oben auf der sozialen Leiter macht unzufriedener als die Genugtuung, von weiter oben auf andere, die scheinbar auf einer niedrigeren Stufe stehen, herabzusehen.
Ein Umstand, den der berühmte Ökonom Adam Smith übersehen haben mag, als er annahm, dass die Gesellschaft als Ganzes besser dran wäre, würde jeder nur seine eigenen Interessen verfolgen. Denn ein Gut, das einer einzelnen Person einen bestimmten Nutzen bringt, wird für die Gesellschaft als Ganzes nicht automatisch wertvoller, wenn man es einfach nur vervielfältigt und mehreren Menschen zur Verfügung stellt. Weil man nicht einfach den Nutzen eines Gutes mit der Zahl derer multiplizieren kann, die dieses erhalten. Vielmehr hat gerade der Nutzen, den ein Individuum aus einem reinen Positionsgut zieht, nachteilige Auswirkung auf die anderen Menschen, die dasselbe erstreben. Wenn der andere aufholt, verringert sich der Vorsprung der Position und somit der eigene Nutzen. Ganz davon abgesehen, dass die Zufriedenheit, die ein einziger oder wenige aus ihrem Vorsprung gegenüber dem Rest der Gesellschaft beziehen, in summa auch noch viel geringer ausfällt als die gesamte Unzufriedenheit derer, die auf der sozialen Leiter von weiter unten nach oben hinauf schauen.[2]
Glücklicherweise orientieren sich nicht alle Menschen ausschließlich an ihrer sozialen Position, sonst hätten wir es mit einer Gesellschaft von Unglücklichen zu tun. Auch sind nicht alle Güter gleichermaßen positionswirksam. Worin sie sich im Einzelnen unterscheiden, erfahren Sie in meinem nächsten Beitrag.
[1] Esser, Hartmut (2000), Soziologie, Spezielle Grundlagen, Band 3: Soziales Handeln, Campus
[2] Mein Kollege Herman Brodie hat sich unlängst (hier) dazu geäußert: Je häufiger man soziale Vergleiche zieht, desto größer das Risiko, Unzufriedenheit anzuhäufen. Außerdem vergleicht sich natürlich nicht jeder mit jedem in der Gesellschaft. Vielmehr konzentrieren sich die sozialen Vergleiche auf diejenigen, die auf der Leiter am nächsten stehen und diejenigen, mit denen wir am meisten verkehren.