Behavioral Living Gesellschaft

Peinlicher Patzer

am
25. November 2013

Unlängst widerfuhr mir ein Missgeschick. Ich stand morgens in aller Frühe vor dem Garderobenspiegel und sah mich außerstande, etwas zu tun, was ich normalerweise jeden Morgen automatisch erledige: Plötzlich war es mir unmöglich, meine Krawatte zu binden. Es ging einfach nicht. Ich überlegte und überlegte. Ohne Erfolg. Alles schien vergessen – ich hatte schlichtweg einen Blackout. Schließlich nahm ich eine kalte Dusche, und mit einem Male funktionierte die Routine wieder. Zum Glück hat das niemand gesehen, dachte ich mir. Außerdem gelte ich ja auch nicht als Experte im Krawattenbinden. Und peinlich wird so etwas sowieso erst, wenn andere einem bei einem solchen Aussetzer zusehen.

So oder so ähnlich muss es dem Sportmoderator und Fußball-Experten Waldemar Hartmann gegangen sein, als er als Telefonjoker bei der TV-Fernsehsendung „Wer wird Millionär?“ die falsche Antwort gab. Ganz Fußball-Deutschland wusste, welches von vier Ländern noch nie eine Weltmeisterschaft im eigenen Lande gewonnen hatte. Nur er, der Experte, wusste es nicht.

 

Fairness ist nicht gleich Fairness

Bei „Wer wird Millionär?“ haben aber auch schon andere selbst bei leichten Fragen einen Blackout gehabt. So wurde zum Beispiel vor einigen Jahren im französischen Fernsehen gefragt, welcher der vier Himmelskörper Venus, Mars, Mond oder Sonne um die Erde kreisen würde. Und weil der Kandidat damals nicht weiter wusste, sollte das fachkundige Publikum per Knopfdruck die richtige Antwort geben. Aber wie eine Aufzeichnung der TV-Sendung (hier) zeigt, müsste man eigentlich bei erstem Hinsehen am Verstand des Publikums zweifeln, das sich mit großer Mehrheit für „Sonne“ entschied. Oder hatten einige womöglich absichtlich auf den falschen Knopf gedrückt hat, nach dem Motto: „Wenn der noch nicht einmal eine so leichte Frage beantworten kann, hat er es im Zweifel auch nicht verdient, eine Million Euro mit nach Hause zu nehmen.“ Das nennt man dann Sinn für Gerechtigkeit.

Aber bei Waldemar Hartmann scheint es nicht um Fairness zu gehen, war mein Eindruck, als ich die vielen hämischen Kommentare im Internet zu seinem Lapsus las. Von Mitgefühl kaum eine Spur. Nein, einem Experten darf so etwas nicht passieren, war der Tenor. Vor allem unter dem Deckmantel der Anonymität im Internet ist offenbar alles erlaubt: Hohn, Verachtung und vor allem Schadenfreude. Schadenfreude, die als „Schwester“ des Neids normalerweise dort entsteht, wo man sich mit anderen Menschen vergleichen kann. Also unter Nachbarn, Freunden und Verwandten. Und Waldemar Hartmann? Der mag den meisten vielleicht volkstümlich nah vorkommen, aber als Experte und Sportkommentator wird er mehr bewundert als beneidet und steht, auch was sein Einkommen betrifft, seinen meisten Zuschauern doch eher fern.

Günther Jauch, der Moderator von „Wer wird Millionär?“ sprach bezeichnenderweise davon er [schaden]freue sich über die Fallhöhe, die Waldi jetzt bei diesem Telefonanruf habe. Ja, nicht nur in Jauchs Wahrnehmung fiel da jemand von ganz oben nach ganz unten und wird für uns zumindest für ein paar Tage auf diesem Sturzflug vergleichbar. Begleitet von dem fragwürdigen Wohlgefühl, an diesem Abend für einen Moment lang sogar mehr als der Experte gewusst zu haben, der aber auch nur ein Mensch ist.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv