Gesellschaft Wirtschaft

Neue Kultur mit alten Köpfen?

am
17. Dezember 2012

Keine Woche vergeht derzeit ohne negative Schlagzeilen über das Investmentbanking. Teils sind es alte Geschichten, teils auch neuere Skandale, die die Finanzwelt erschüttern. Subprime-Krise, Steuerbetrug, Libor-Manipulation, Geldwäsche, Frontrunning, dazu Ladder-Swaps und andere undurchschaubare Derivate, die etlichen Anlegern, darunter auch viele Kommunen, Millionen-Verluste beschert haben, all‘ das offenbart sich mehr und mehr als die zum Teil kriminelle Realität, die sich hinter der vermeintlichen Erfolgsgeschichte des Investmentbankings verbirgt. Und mehr scheint, zumindest in der Wahrnehmung vieler Außenstehender, von diesem vielversprechenden Geschäftsmodell nicht übrig geblieben zu sein. Und als ob man nur einen Schalter umzulegen bräuchte, wird jetzt mancherorts ein Kulturwandel im Bankgeschäft gefordert, damit das Vertrauen der Kunden zurückgewonnen werden kann.

 

Einst mit Lorbeer behängt

Doch die Dinge gestalten sich nicht so einfach, weil die Skandale der vergangenen Monate nicht nur Auswüchse eines fragwürdigen Geschäftsmodells darstellen, sondern vielmehr ein klassisches Beispiel dafür sind, wie sich im Lauf der Zeit Normen schleichend verschieben können. Diese Normen wieder auf ein ethisch akzeptables Niveau zu bringen scheint mir eine wahre Herkulesarbeit zu sein. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als die ersten Investmentbanker Mitte der 1990er Jahre in Deutschland eintrafen. Über und über mit Vorschusslorbeeren behängt, zogen sie ein wie Heilsbringer in eine damals altmodische, möglicherweise verkrustete Bankenwelt. „Wir fliegen zum Mars!“,  hieß das euphorische Motto der Apologeten eines neuen, schier unbegrenzt scheinenden Wachstums. Und die Devise „Ab jetzt wird [Geld] geschüttet“ machte nicht nur klar, dass beamtenhafte Anstellungsverhältnisse mit sicheren Einkommen bis zur Rente und auch für die Zeit danach von leistungsabhängiger Bezahlung auf einer nach oben scheinbar grenzenlos offenen Bonusskala abgelöst werden sollte. Es war die Aussicht auf einen möglichen Jackpot, den Superbonus, die es den damals Verantwortlichen so leicht machte, ihren Followern die Erfolgsformeln als neue Normen zu verkaufen und die alten Grundsätze recht schnell ablösen zu können. Denn es ging ja um die Belohnung für harte Arbeit, deren Messlatte ganz nebenbei bemerkt und manchmal abseits jeder Realität mit jedem Jahr um einen willkürlich gewählten Prozentsatz höher gelegt wurde.

 

Kulturwandel trotz schwerer Commitment-Bürde

Diejenigen, die jetzt den Kulturwandel propagieren und durchsetzen möchten, müssen also von Normen Abschied nehmen, die die übrige Gesellschaft nicht mehr akzeptieren will. Aber die neuen Normen sind wesentlich schwerer zu verkaufen, denn an ihnen haftet ein Verlust. Damit meine ich nicht nur Kostensenkungen, Gehaltseinbußen und Entlassungen, die den Angestellten der betroffenen Banken drohen. Für die Verantwortlichen heißt das auch wirklich loslassen, von bisher gültigen Leitsätzen, die sich mittlerweile als ethisch zweifelhaft oder gar falsch erwiesen haben. Aber aus der Entscheidungspsychologie wissen wir, dass diejenigen, die für eine letztlich fragwürdige Norm eingestanden haben, von dieser nicht Abschied nehmen können. Dies fällt ihnen paradoxerweise noch schwerer, wenn sie damit Schiffbruch zu erleiden drohen und vielleicht sogar Verluste hinnehmen müssen. Denn Menschen machen nun einmal neue Entscheidungen vom Erfolg oder Misserfolg früherer Entscheidungen abhängig. Zu beweisen, dass ihr Geschäftsmodell, ihr System oder ihre Ideologie am Ende doch überlegen war, wird zur Lebensaufgabe. Und in diesem Fall, beim Investmentbanking, ist die Verführung besonders groß: Wer will schon statt zum Mars zu fliegen mit der Deutschen Bahn im Nahverkehr verreisen? Nicht immer wandelt sich verschwenderischer Saulus in einen bescheidenen Paulus. Albert Einstein hat einmal gesagt, man könne Probleme niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Will sagen: Wenn man wirklich schnell neue Normen und einen Strukturwandel durchsetzen möchte, wären hierfür neue Entscheider, unbelastet von den alten Erfolgs-Commitments, vonnöten.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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