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18. Oktober 2011

Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, mir im Kino den Film mit dem feinsinnigen Namen „Margin Call“ oder zu Deutsch „der große Crash“ anzusehen. Erwartungsgemäß ging es um eine Investmentbank der Wall Street im Jahre 2008 in Anlehnung an die Lehman-Pleite. Der Streifen beginnt mit einer für damals wie auch heute typischen Entlassungsrunde von Mitarbeitern, der auch der Analyst Eric Dale zum Opfer fällt. Immerhin gelingt es diesem bei seinem Rauswurf an Ort und Stelle (die Kartons für die persönlichen Habseligkeiten waren schon bereitgestellt), einem der verbliebenen emporstrebenden Kollegen einen USB-Stick mit brisanten Daten zuzustecken. Das junge Talent benötigt nur ein paar Stunden, um anhand der digitalen Aufzeichnungen und nach Durchspielen einiger Szenarien (zu Deutsch: Stresstests) herauszufinden, dass der finanzielle Untergang seiner Bank praktisch unausweichlich ist. Schnell wird die Konzernleitung informiert und quasi über Nacht ein Rettungsplan, der Ausverkauf „toxischer Papiere“, ausgearbeitet und zu Börsenbeginn am Montag mit fast schon strategischer Perfektion durchgeführt.

Tatsächlich wird der Zuschauer manchmal fast schon in Zeitlupe mit den Lebensumständen und Motiven der Handelnden vom jungen gerade einer Entlassungswelle entkommenen Angestellten über die Chefin des Risikomanagements, den Chefhändler bis hoch zum Konzernchef konfrontiert. Wobei Letzterer ganz unumwunden zugibt, dass er seinen Sessel nicht aufgrund fachlicher, sondern anderer Fähigkeiten erreicht hat. Und jener Chefhändler, der sich scheinbar einen letzten Funken Charakter erhalten hat und über den Tod seines heiß geliebten Hundes noch Tränen vergießen kann, besitzt auch noch so etwas wie einen Händlerethos, kann aber am Ende aufgrund seines für ihn subjektiv nicht gerade ausschweifenden Lebensstils doch nicht einfach aus dem Belohnungssystem seines Chefs heraustreten.

Dabei hätte es sich der Regisseur J. C. Chandor in Hollywood-Manier einfach machen können. Aber „Margin Call“ hat keinen Helden und auch keinen richtigen Bösewicht. Alle Beteiligten sind Täter aber auch Opfer eines Systems, das für Außenstehende abstrakt und so komplex zu sein scheint, dass ich schon die Befürchtung hatte, der Streifen könnte zu einem Langweiler werden. Weil er eben nicht dynamisch, sondern streckenweise fast statisch das Wechselspiel der Beteiligten beleuchtet. Etwa deren Einkommens-Referenzpunkte, die sich durch Gewöhnung soweit vom Durchschnittsverdiener entfernt haben, dass selbst das vertraulich (natürlich unabsichtlich) an Untergebene kommunizierte Einkommen des vorgesetzten Gruppenleiters von zwei Millionen Dollar pro Jahr angesichts der laufenden Kosten für Familie, Haus, Autos und sonstige kostspielige Vergnügungen nur noch wie Peanuts erscheinen mag.

„Margin Call“ war für mich ein durchaus hautnahes Filmerlebnis, ja so realistisch, dass ich mich manchmal fragen musste, ob Übereinstimmungen mit Persönlichkeiten aus dem realen Leben nicht doch gewollt waren – einige Szenen dürften Kennern der Branche zumindest nicht unbekannt gewesen sein. Und am Ende war ich froh, dass sich der Film nicht auf eine Kritik der gerade zurzeit viel gescholtenen ungezügelten Gier von einzelnen Händlern und Bankern reduzierte. Vielmehr wird dem Zuschauer klar gemacht, dass all diese Auswüchse, denen man jetzt Herr zu werden versucht, einmal im Kleinen angefangen müssen und sich in gewisser Weise fast schon automatisch verselbständigt haben.

Und sei es auch nur durch den in vielen von uns innewohnenden Wunsch, eine etwas bessere Verzinsung für sein Vermögen als der Durchschnitt zu bekommen.

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2 Kommentare
  1. Antworten

    sunny

    19. Oktober 2011

    Anfangs verfiel ich auch der Annahme, dass der sorgenvolle Gesichtsausdruck des Chefhändlers angesichts der Entlassung seiner Kollegen/ bzw. der Sorge vor den anstehenden schwierigen Zeiten Charakter/Mitgefühl/Menschlichkeit darstellen soll , – nein, so war es dann doch nicht, die Sorgenfalten verursachte ihm der Gesundheitszustand seines Hundes … http://www.youtube.com/watch?v=SNvP20jZMNw Wir hatten auch einen Hund – ich kann den Schmerz des Verlustes nachvollziehen. Jedoch, in einer TV-Doku sah ich, dass Hitler auch Hundebesitzer war, der seine Tiere geliebt hat, zum großen Unglück und Leid in der Welt konnte er dieses Gefühl nicht für seine Mitmenschen aufbringen – was beweist, das Tierliebe allein noch kein Indiz für guten Charakter darstellt.

    Wegen „seines für ihn subjektiv nicht gerade ausschweifenden Lebensstils“ kann er „doch nicht einfach aus dem Belohnungssystem seines Chefs heraustreten.“ Denn er ist hier –
    Oben: http://www.youtube.com/watch?v=GmXTmobAbLA – „Arschbomben und Sudokus“ … Wieder kein guter Charakter.

    Nein, Mitleid darüber, dass der Banker anscheinend alternativlos in einem System gefangen ist, das, so vermittelt der Film ja auch, auch durch das Streben der Anleger nach hoher Rendite so geartet ist – (aber wir wissen ja, es wurde erst durch Deregulierung ermöglicht und durch Bonizahlungen angeheizt)- habe ich nicht, denn erstens gibt es immer eine Alternative und zweitens ist dies die Kehrseite der Medaille –
    Unten: Die Opfer der Spekulation und Gier http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1470042/Spekulanten-treiben-Lebensmittelpreise?bc=sen;sst:1209114;sst1:1209114#/beitrag/video/1470042/Spekulanten-treiben-Lebensmittelpreise
    Wie kann es denn sein, dass ein einziger Händler zwei Milliarden verzocken kann?

    Die Kosten der Ungleichverteilung des Reichtums, der Verantwortungslosigkeit und Maßlosigkeit der Eliten zahlen Menschen überall in dieser Welt mit ihrer zerstörten Gesundheit, mit Elend und Tod. Würde ich die Verantwortung dafür tragen, oder nur einen Teil davon, dann wäre ich um meinen Schlaf gebracht. Offensichtlich können die Banker jedoch ganz gut schlafen, was mich zu dem Schluss führt, für Menschen mit sowenig Ausstattung an Menschlichkeit/Liebe nun doch Mitleid zu empfinden.
    Gute Nacht …

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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