Investmententscheidungen Politik

Groupthink für einen Augenblick

am
11. Oktober 2011

Während der vergangenen Tage ist ein regelrechtes Durcheinander um die diversen Euro-Rettungsprogramme entstanden. Da wurde über erweiterte Rettungsschirme in verschiedenen nationalen Parlamenten abgestimmt – hierzulande mit dem Versprechen, etwa den EFSF-Garantiemechanismus nicht weiter aufzustocken. Trotzdem diskutierte man lautstark über eine möglichst effiziente Verwendung der entsprechenden Mittel. Von großen Hebeln ist die Rede, von Ausfallversicherungen und schön verpackten strukturierten Produkten. Dann stellt man fest, die derzeitige Notfalleinrichtung EFSF kann mangels Eigenkapital nicht zur Bank gemacht werden und dann nimmt man halt einfach den anderen, für 2013 geplanten Mechanismus namens ESM. So will es zumindest das Handelsblatt aus hochrangingen EU-Diplomatenkreisen erfahren haben. Schließlich stellt sich heraus, dass die Banken der Eurozone mit rund 200 Milliarden € kapitalisiert werden müssen. Wie wäre es da mit TARP?

Bei alledem bleibt ein Eindruck der Intransparenz, wobei sie Frage stellt, ob diese gewollt oder nur ein Zeichen geballter Inkompetenz ist. In beiden Fällen tun sich die Kommentatoren schwer, all diese gut gemeinten Pläne tatsächlich erklären zu können. Geschweige denn gemäß ihrer tatsächlichen Kosten abwägen zu können. Und wenn sich die Finanzminister der Eurozone treffen, denkt niemand an jene ungünstige Gruppendynamik namens „Groupthink“ (vgl. gestriger Beitrag) mit dem Zwang zu konformem Denken. Darüber mag auch nicht der Wille zu einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftsregierung hinwegtäuschen. Zwar ist die Zusammensetzung der EU-Finanzminister so bunt gemischt wie die Passagiere eines Flugzeugs, das sich gerade im Landeanflug befindet. Doch man stelle sich einmal die Situation vor, wenn der Pilot wegen schlechten Wetters kurz vor dem Aufsetzen das Gefährt noch einmal nach oben ziehen muss. Dann kann man plötzlich beobachten, wie aus einer ursprünglich bunt zusammengewürfelten Gruppe eine homogene Masse wird, die völlig gleichgerichtet denkt und handeln mag. Aus lauter Angst, womöglich einer Bruchlandung ausgesetzt zu sein.

Auch der Eurozone droht womöglich eine Bruchlandung: Mit anderen Worten: Die Politiker und Manager der Finanzkrise mögen demnächst in ähnlicher Weise ausgeliefert sein wie die Insassen des beschriebenen Flugzeugs. Und mit einem Male kommen sämtliche die Randbedingungen für das gefährliche Groupthink-Phänomen zusammen: Eine auf sich gestellte (abgeschottete) Gruppe neigt plötzlich zur Kohäsion, weil unter externem Stress und Zeitdruck eine gemeinsame Entscheidung gefragt ist. Ohne große Diskussion, Hauptsache man kommt irgendwie durch und übersteht den gemeinsamen Flug. Dann gibt es keinen mehr, der kritische Fragen stellt, Alternativen werden nicht mehr ausreichend berücksichtigt.

Und nachdem der Pilot die Maschine heil auf die Erde herunter gebracht hat, geht jeder wieder seines eigenen Weges. Guten Flug!

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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