Behavioral Living

Lob der Diäten-Disziplin

am
18. September 2013

Auch ich gehöre zu den Menschen, die Zeit ihres Lebens auf ihr Gewicht achten müssen. Dabei habe ich alles Mögliche ausprobiert, um schlank zu bleiben beziehungsweise zu werden. Manchmal ist es mir tatsächlich gelungen, viel abzunehmen, aber ich war mindestens so erfolgreich darin, alles, was ich an Pfunden verloren hatte, erneut in Form von Fettreserven wieder aufzubauen. Ja, ich kenne mich wirklich aus. Man könnte mich mit verbundenen Augen die verschiedenen Diät-Pulversorten kosten lassen, und ich würde die jeweilige Marke sofort am Geschmack erkennen und benennen können. Ich könnte Ihnen auch aus dem Stand seitenlange Kalorientabellen auswendig aufsagen. Ja, ich habe, ach, auch die Low-Carb und die Low-Fat-Theorien  studiert und verfüge zusätzlich über Jahre lange Erfahrungen mit Trennkost. Meiner Schwiegermutter verdanke ich die Bekanntschaft mit der berühmten Kohlsuppen-Diät nach Köhnlechner, nur muss ich an dieser Stelle bekennen, dass ich dieses Experiment vorzeitig abgebrochen habe. Noch heute beschleicht mich Übelkeit, wenn ich nur an diese grünlich-wässrige Brühe denke. Kurzum: Auf dem Felde der Diäten kann man mir nichts mehr vormachen.

Dachte ich jedenfalls, bis mich neulich ein Beitrag in der Online-Ausgabe der Zeitung Die Welt[1] aufhorchen ließ, wo nach neuesten Erkenntnissen zufolge harte Abmagerungskuren Kilo nachhaltiger purzeln lassen als jede sanfte Diät. Also Schluss mit dem langsamen Abnehmen, so wie es mir Ernährungs-Profis und Ärzte immer geraten haben. Von wegen realistische Ziele setzen, gepaart mit etwas mehr Bewegung im Alltag, weil  Körper und Gehirn Zeit bekommen sollen, sich an die Gewichtsreduktion zu gewöhnen – offenbar alles ein Trugschluss, wie ein Forscherteam der University of Florida bereits vor drei Jahren ermittelt hat![2] Danach verloren  Menschen mit einem höheren Gewichtsverlust in den ersten Monaten (mehr als 680 g pro Woche) am Ende nicht nur mehr Gewicht als diejenigen, bei denen der Zeiger auf der Waage im ersten Monat deutlich weniger nach links zurückging. Die disziplinierten Schnellabnehmer konnten außerdem mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit als ihre bedächtigeren Mitstreiterinnen selbst nach 18 Monaten noch ihren zehnprozentigen Gewichtsverlust halten.

Wie kann es zu solch umwerfenden neuen Erkenntnissen kommen? Zunächst einmal verweisen Psychologen darauf, dass es früher nur wenige Studien gab, die sich mit nicht-klinischen Beispielen  massiven Übergewichts beschäftigten. Ganz zu schweigen davon, dass sich viele Studien zum Thema Diäten alleine mit dem Gewichtsverlust, nicht aber mit deren Einflüssen auf das Verhalten der Betroffenen auseinandersetzen.

 

Zielvorgabe ist Referenzpunkt

Denn oftmals wird übersehen, dass Zielvorgaben –  egal, ob es sich um das Traumgewicht für den Strand oder eine Gewinnvorgabe an der Börse handelt – gleichzeitig als Referenzpunkt und als Trennlinie zwischen Zufriedenheit und Enttäuschung fungieren. Menschen mit hohen Zielen setzen ihre Zufriedenheitsmarke demnach höher, weswegen ein Gewichtsverlust von fünf Kilogramm bei einem Abnehm-Ziel von zehn Kilo zu einer größeren Unzufriedenheit führt als bei jemandem, der sich nur einen Gewichtsverlust von sechs Kilogramm vorgenommen hat. Daher mag auch die Überlegung rühren, dass hohe Ziele leicht zu großer Frustration bei den Betroffenen führen können. Allerdings strengen sich Menschen mit hohen Zielvorgaben wesentlich mehr an, weil sie so diesem Gefühl der Unzufriedenheit aus dem Wege gehen möchten. Im Gegensatz zu denjenigen, die sich nur kleine Ziele setzen[3].

Hochgesteckte Ziele sind jedoch nur mit eiserner Disziplin als einem wesentlichen Bestandteil aller Anstrengungen zu erreichen. Geringe Zielvorgaben mögen zwar schneller und leichter erfüllbar sein, aber genau deswegen erfordern sie auch keine so große Anstrengung, so dass in der Konsequenz auch die Notwendigkeit der Disziplin meist nicht erkannt wird. Vor allem wenn kleine Ausrutscher in Form von Sahnetorte oder Pizza immer wieder vom geraden Weg zum Ziel ablenken. Verführungen, denen Menschen ohne Disziplin nicht nur häufiger nachgeben. Sie glauben außerdem, dass sie diese Kalorienüberschüsse auch nicht sofort wieder durch knallharte Reduktion der Essensmenge am nächsten Tag gleich wieder ausgleichen müssen. Nach dem Motto: „Ich kann mir ja Zeit lassen. Die Vorgabe, bis Jahresende insgesamt fünf Kilo abgenommen zu haben, schaffe ich trotzdem noch.“ Hier wird der Weg so häufig zum Ziel gemacht, dass man dort nie mehr ankommt und der Referenzpunkt „Zufriedenheit“ in unerreichbare Ferne rückt.

Und ein Leben, das nur aus Disziplin besteht? Das macht auch keinen Spaß.



[1] Die Welt online vom 15.7.2013 

 

[2] Nackers, L. et al (2010): The Association Between Rate of Initial Weight Loss and Long-Term Success in Obesity Treatment: Does Slow and Steady Win the Race? International Journal of Behavioral Medicine, 2010, Sep, 17 (3), pp. 161-167

 

[3] Vgl. Locke, Edwin A. et Latham, Gary, P. (2002): Building a Practically Useful Theory of Goal Setting and Task Motivation, A 35-Year Odyssey, American Psychologist, Vol 57, No. 9, 705-717

 

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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