Behavioral Ethics

Kulturwandel Teil 3: Behavioral Ethics als Lösung

am
9. September 2013

In meinem vergangenen Blogbeitrag zum angestrebten Kulturwandel – vornehmlich im Investmentbanking – ging ich zum Schluss auf die so genannte Behavioral Ethics ein, die unter anderem helfen soll, ethisch bessere Entscheidungen zu treffen. Denn nach wie vor formulieren die meisten Unternehmen, Institutionen und Betriebe ihre ethischen Leitlinien und Verhaltenskodizes alleine auf Basis einer normativen Ethik, was in etwa so effektiv ist wie ein moralischer Appell oder ein frommer Wunsch. Dabei wissen wir doch seit der Antike, dass als höchster moralischer Imperativ die Selbsterkenntnis gilt. Doch wie die Ökonomie operiert auch die Ethik mit idealisierten Modellen statt mit Menschen. Was diese tatsächlich im Innersten bewegt, wird in diesem Denken ausgespart. Kein Wunder also, dass die Welt seit Jahrtausenden kein besserer Ort geworden ist.

Erst vor wenigen Jahren entwickelte sich innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin der Ethik eine neue Richtung, die als „Behavioral Ethics“ bezeichnet wird[1]. Einer ihrer Begründer ist der in Harvard lehrende Psychologe Max H. Bazerman. Ziel seiner Forschung sei es, so Bazerman, das tatsächliche Verhalten von Menschen zu beobachten und darzustellen, welche situativen und sozialen Kräfte sie beeinflussen, wenn sie sich mit einem ethischen Dilemma konfrontiert sehen. Die Erforscher der „Behavioral Ethics“ sind davon überzeugt, dass  sich das Entscheidungsverhalten von Menschen bei ethischen Fragestellungen systematisch erfassen, beschreiben und damit auch vorhersagen lässt.

 

Wenn Wunsch und Wirklichkeit nicht übereinstimmen

Wenn wir etwa unser eigenes künftiges Verhalten vorhersagen sollen, formulieren wir zumeist Erwartungen, die mit unseren ethischen Vorsätzen, unseren Vorstellungen von Moral in Einklang stehen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung aber, also in der Gegenwart, benehmen wir uns dann aber doch eher so, wie es unserem Charakter am meisten entspricht – manchmal unbewusst und ohne es tatsächlich zu wollen, manchmal eben unethisch.

Wird dieses unethische Verhalten schließlich offenkundig oder sogar nachweisbar, sind viele Menschen darüber erstaunt, wie es so weit kommen konnte. Dieses befremdliche Bild und unser idealisiertes Selbstbild eines moralisch weitgehend einwandfreien Menschen stehen in einem Gegensatz, der bekanntermaßen kognitive Dissonanz[2] auslöst. Diese wiederum gleicht einem Unbehagen, das sich nur auflösen ließe, wenn wir unseren moralischen Fehltritt rückgängig machen würden, was allerdings nur selten möglich ist. Außerdem hindert uns die nahezu jedem Menschen innewohnende Verlustaversion[3] daran, einen solchen Schritt zu unternehmen.

Daher bleibt, um die Dissonanz zu verringern, oft nur das Umdeuten und Relativieren. Man nennt das auch Neutralisierungsstrategien (hier und hier). Eine besteht darin, dem Opfer eine etwaige Mitschuld an dem Vorfall anzuhängen. Oder man versucht, die eigenen Fehler samt ihren Folgen herunterzuspielen und zu verharmlosen. Ein besonders beliebtes und erfolgreiches Ablenkungsmanöver aber ist die moralische Entrüstung: Man gibt den Saubermann und verurteilt mit großer Empörung die Sünden Anderer, gegen die sich die eigenen Verfehlungen plötzlich ganz unbedeutend und harmlos ausnehmen. Und wer dem Anschein nach so hohe moralische Maßstäbe hat, dem traut die Umwelt ohnehin nichts Böses zu[4].  

 

Eine Entscheidung zwischen relativ Gut und relativ Böse

Unsere eigene Moral ist oftmals nicht stabil und zeitweise sogar scheinheilig. Auch, weil sich die eigenen ethischen Bezugspunkte mit der Zeit verändern können. Damit ist Moral in erster Linie nicht absolut, sondern etwas Relatives. Denn wenn man Moral als eine Entscheidung zwischen „Gut“ und „Böse“ auffasst, hängt dieses „Gut“ oder „Böse“ von Verhaltensstandards ab, die von der Mehrheit der Menschen zurzeit akzeptiert werden, also von der gegenwärtigen Kultur und den heute gültigen Normen. 

So gesehen kann Verhalten, das in der Vergangenheit einmal als moralisch „schlecht“ angesehen wurde, für die Menschen heutzutage mit einem Male akzeptabel sein. Und was umgekehrt früher einmal hoffähig war, kann heute als verwerflich gelten. Folglich kann jemand ohne sein eigenes Zutun, allein durch einen schleichenden Wertewandel, vom einst moralisch Guten ins moralisch Schlechte abgleiten.  

Ohnehin dürfte sich nicht jeder stets an die moralischen Gebote halten – sie alle zu befolgen entspräche in den Augen Vieler einem zwar erstrebenswerten, aber unerreichbaren Idealzustand. Kleine Abweichungen von diesen Standards scheinen daher verzeihlich zu sein, doch was mit einer kleinen Verfehlung beginnt, kann sich mit der Zeit zu einer großen Sünde ausweiten, ohne dass das schlechte Gewissen im selben Umfang mitwächst.

Wie es dazu kommt, möchte ich im vierten und letzten Teil über den „fragwürdigen Kulturwandel“ darstellen.



[1] Bazerman, Max H.; Tenbrunsel, Ann E. (2011): Blind Spots, Why We Fail to Do What’s Right and What to Do about It, Princeton University Press, Princeton New Jersey

 

[2] Festinger, Leon (1957): A Theory of Cognitive Dissonance, Stanford University Press, Stanford

 

[3] Das ist die dem Menschen innewohnende Abneigung, Verluste und Fehlentscheidungen nicht gerne  realisieren, d. h. festschreiben zu wollen.

 

[4] Genau genommen, spricht man in der Behavioral Ethics von der sogenannten „Ethical Dissonance“ die enger als der ursprüngliche Begriff der kognitiven Dissonanz gefasst ist. Vgl. hierzu auch Barkan R., Ayal, S., Gino F., Ariely D. (2012): The Pot Calling the Kettle Black: Distancing Response to Ethical Dissonance, Journal of Experimental Psychology: General 2012, Vol 141, No. 4, 757-773 

 

 

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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