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10. Dezember 2012

Mit einem Klassentreffen hat es immer eine besondere Bewandtnis. Meist geben Jubiläen, die 10, 20, 25 Jahre, die seit dem Abitur oder einem anderen Schulabschluss verstreichen sind, den Anlass, sich in altvertrauter Runde zu treffen. Oft habe ich mich gefragt, was an diesen Begegnungen mit der Vergangenheit so attraktiv sein mag. Natürlich freut man sich, den einen oder anderen Weggefährten aus Kindertagen einmal wiederzusehen. Aber nicht alle waren damals gute Freunde. Und so handelt es sich oftmals nicht nur um ein Wiedersehen, sondern um das Zusammentreffen menschlicher Referenzpunkte. Was ist aus Susanne geworden? Mit der wievielten Frau ist Heiner aktuell verheiratet und wie viele Häuser besitzt inzwischen der Gerd? Fragen, deren Antworten oft zum Vergleich mit der eigenen Entwicklung herangezogen werden. Und wo geht das besser als bei einer Begegnung mit Menschen, mit denen man zusammen aufgewachsen ist und die anschließend mit denselben Träumen, Idealen oder hochgesteckten Zielen in eine verheißungsvolle Zukunft aufgebrochen sind wie man selbst damals. Und nun der Abgleich, wer mehr daraus gemacht hat.

Unlängst war auch mein Freund K zu einem solchen Treffen eingeladen. Freund K, ein ehemaliger Banker, heute gut situiert, für seine Arbeit nicht übermäßig gut, aber dennoch angemessen entlohnt, verheiratet, zwei Kinder. Seine Ehe war immer solide und hat so manche Irrung und Wirrung recht gut überstanden. Freund K bezeichnete sein Leben durchaus als glücklich. Zumindest bis zu jenem berüchtigten Klassentreffen, von dem er mir nach dem vergangenen Wochenende aufgewühlt berichtete. Da saßen sie nun alle zusammen, der Streber von damals, daneben die graue Eminenz,  die damals immer entschied, wer sich moralisch klassenkonform verhielt und wer nicht in die Gruppennorm hineinpasste. Gekommen war auch der gute Kamerad von damals, notenmäßig immer kurz vor dem Abgrund der Nichtversetzung stehend, mittlerweile aber zu den Neureichen aufgestiegen, einkommenstechnisch ein Superstar, der K. bei weitem überrundet hatte. Und die Lusche von damals, der, den alle anderen immer gefoppt haben, zückt doch tatsächlich das Foto einer attraktiven Brünetten aus seiner Brieftasche und legt es triumphierend vor K. auf den Tisch: „Da, guck mal, meine Frau!“ Genau genommen zeigte er – ohne irgendeine böse Absicht, versteht sich – meinem guten K., wovon der insgeheim wohl selbst geträumt hatte, was er allerdings nie bekommen konnte. Anders ausgedrückt: K. wurde neidisch.

 

Neid und Schadenfreude

Die Veränderung, die K. innerhalb der nächsten drei Tage durchlief, war beängstigend. Seine Zufriedenheit schien völlig geschwunden zu sein, obgleich sich tatsächlich nichts an seiner Lage verändert hatte. Sein Einkommen war noch gleich hoch wie am Freitag vor dem Klassentreffen, keine schwere Krankheit hatte in der Zwischenzeit seine Familie heimgesucht, und auch seine Frau war  noch genauso nett und bezaubernd wie zuvor. Doch unter dem Eindruck der neuen Referenzpunkte sah K.‘s Einkommen im Vergleich mit dem damals eher leistungsschwachen Schulkollegen eher mickrig aus. Und im Vergleich zu dem Topmodel, das der Klassendepp geehelicht hatte, nahm sich K‘s Ehefrau doch eher wie eine graue Maus aus. Zumindest würde sich nach ihr niemand mehr auf der Straße umdrehen, dachte K. grimmig. Ja, es war der soziale Vergleich, die Referenzpunkte aus dem Leben der Anderen, die K. in den mentalen Verlustbereich und in den Keller seines Selbstvertrauens schlittern ließen. Denn K. hatte den für alle sichtbaren Gewinn des anderen in seinen eigenen Verlust umgemünzt.

K.s Geschichte hat mich verstehen lassen, woher mein Unbehagen, das ich schon immer bei diesen Zusammenkünften gehegt habe, rührt. Denn bei einem Klassentreffen gibt es wie an der Börse am Ende eines Handelstages nur Gewinner, während niemand über Verluste sprechen möchte. Es sei denn, es sind die Verluste der anderen, Referenzpunkte, die die eigene Position wie einen Gewinn erscheinen lassen. Aber auch der ist eben, genauso wie K.‘s Verlust, nur relativ. Wenn wir nicht aufpassen, entstehen daraus Schadenfreude und Neid, und das sind beides Emotionen, die uns nicht glücklich machen.

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1 Kommentar
  1. Antworten

    Michael

    15. Januar 2013

    Ich hatte ja bereits einen Kulturschock nach fünf Jahren. Die vielen Kinderfotos, die veränderten Persönlichkeiten und ja die von dir beschriebene Prahlerei. Aber ich finde man hat sich dennoch gut mit den alten „Freunden“ verstanden. Die Angeber von früher mussten auch beim Klassentreffen wieder protzen. Nur davon sollte sich dein Freund K nicht beeinflussen lassen. Ich kenne viele Leute die einen dicken Wagen fahren – der geleased ist 🙂

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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