Behavioral Living

Im Auf und Ab des Komforts

am
12. Juni 2012

Mit Hotels habe ich so meine Erfahrungen gemacht. Manchmal gute, häufiger aber schlechte. Und so wählte ich mir bei meinem letzten Berlin-Besuch das „Ritz Carlton“ als Destination aus. Fünf Sterne, da dürfte eigentlich nicht viel schief gehen. Weil ich mich vor Veranstaltungen gerne noch etwas ausruhe, reserviere ich mir meist ein ruhiges Nichtraucherzimmer. Und da ich weiß, dass das Ritz besonders gute Betten hat, war meine Vorfreude auf eine Stunde Mittagsschlaf entsprechend groß. Ja, sie stieg sogar noch, als ich bei Ankunft am Check-in erfuhr, dass man mir ein Upgrade gegeben hatte.

Doch die gute Stimmung sollte nicht lange währen, denn bei Betreten meines Zimmers erblickte ich mit Staunen, dass das Parkett im Eingangsbereich ziemlich verstaubt war, auch der Teppichboden wies einige unschöne Fußabdrücke und Spuren meiner „Vormieter“ auf. Naja, kann ja mal passieren, dachte ich mir, und als die drei Frauen von der Reinigungskolonne bereits fünf Minuten später anrückten, um die vergessene Säuberung des Raumes nachzuholen, war ich fast schon wieder guter Dinge. Dennoch verneinte ich höflich, als mich die Chefin fragte, ob sie mir denn noch etwas Gutes tun könne. Denn ich konnte mir nicht so recht vorstellen, was sie unter diesem Angebot verstand.

 

Von Upgrade zu Upgrade

Ich schlug die Tagedecke auf und entdeckte angewidert einige unappetitliche Flecken auf dem Laken und der Bettdecke. Und das angeblich ruhige Zimmer war anscheinend per Akustikbrücke mit einem Raum verbunden, in dem, so jedenfalls klang es in meinen Ohren, einen Staubsauger und ein Schleifgerät mit laut dröhnender Inbrunst im Duett wüteten. „Möchten Sie vielleicht das Zimmer wechseln?“, fragte mich der Concierge bei meinem zweiten Anruf – offenbar war jetzt die Eskalationsstufe meiner Beschwerden erreicht, die ein weiteres Upgrade rechtfertigten. „Ich glaube, das ist wohl das Beste“, erwiderte ich zuversichtlich. Minuten später stand der Zimmerchef vor meiner Tür, um mein Gepäck zu übernehmen. Aus Erfahrung bat ich darum, mir zunächst mein neues Gemach ansehen zu dürfen. „Wir haben eine Suite für Sie gefunden!“  Das wäre doch nicht nötig gewesen, dachte ich mir. Wir wanderten durch endlos lange Hotelflure, an deren Ende sich endlich mein neues Refugium befinden sollte. Aber schon von weitem hörte ich eine Bohrmaschine so lautstark jaulen, dass man damit Tote aus ihrer letzten Ruhe hätte aufwecken können. Vor allem wenn die Bohrerspitze genau an der Rückwand der Suite angesetzt wird.

 

Mentale kalte Dusche inklusive

Fast schon flehend blickte ich den Herrn der 1000 Zimmer an: „Ich möchte doch nur eine Stunde Schlaf“, bettelte ich. Er zögerte: „Dann hätte ich nur noch etwas auf der anderen Seite des Trakts, aber…“ – „keine Suite“, ergänzte ich im Geiste. Rauf und runter, jetzt also wieder ein Downgrade, dachte ich mir. Aber die gewonnene Stunde Schlaf war mir diesen mentalen Verlust allemal wert. Und als man mir am nächsten Morgen meine Schuhe unpoliert vor mein Zimmer stellte, entlockte mir das nur mehr ein gleichgültiges Achselzucken. Auch meine Erwartungen an den Service im „Ritz“ hatten einen Downgrade erfahren. Was allerdings dadurch abgemildert wurde, dass man mir das Frühstück, zu dem ich meinen Bruder eingeladen hatte, als Ausgleich für meine Irrfahrt durch die verschiedenen Preiskategorien des Hotels gar nicht erst in Rechnung stellte.

SCHLAGWÖRTER
ÄHNLICHE BEITRÄGE

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

Archiv