Märkte Politik

Gut verkauftes Defizit

am
11. Juni 2012

Dass sich Spanien am Samstag dem Druck der Euro-Staaten gebeugt hat und nun anscheinend Hilfskredite aus dem EFSF-Krisenfonds beantragen möchte, um seine Banken zu retten, dürfte wohl nur wenige Marktteilnehmer überrascht haben. Mich eingeschlossen. Denn im Grunde hatte sich dieser Schritt bereits am vergangenen Freitag angebahnt. Allein die Höhe des angekündigten Gesamtbedarfs von 100 Mrd. EUR, der angeblich zur Rettung der taumelnden spanischen Banken benötigt wird, hat die bisherigen Schätzungen noch einmal an der Oberseite deutlich übertroffen. Ja, er scheint fast etwas übertrieben, wenn man etwa den bisherigen Schätzungen des IWF glaubt. Nein, es waren keine 40, keine 80 Mrd. EUR, sondern noch mehr. Und ganz unverblümt verkündet man auf offizieller Seite, mit der Summe von 100 Mrd. wolle man alle denkbaren Risiken abdecken. Das ist lobenswert. Wollen wir hoffen, dass da nicht noch ein paar schwarze Schwäne über die Biskaya fliegen.

 

Abnehmende Sensitivität bei höherem Kreditbedarf

Gleichwohl scheint man bei den Krisenländern, zumindest was die Außendarstellung betrifft, etwas aus der verhaltensorientierten Ökonomie gelernt zu haben. Denn statt wie sonst bei Verkündung hoher Verluste, vielleicht aus Angst vor einem drohenden Sturm der Entrüstung, eher tiefzustapeln und das Ausmaß des Defizits herunterzuspielen, statt zu knapp bemessene Rettungsschirme aufzuspannen, an die dann immer noch hier und da ein Kredit angeflickt werden muss, damit er ausreichend Schutz bietet, hat Spanien gleich richtig zugelangt und möglicherweise einen zu hohen Kreditbedarf angegeben. Denn es hätte für die öffentliche Wahrnehmung vermutlich sowieso keine Rolle mehr gespielt, ob man nun 80 oder 100 Mrd. EUR beantragt. Dazu haben wir uns alle schon viel zu sehr an diese astronomisch hohen Summen gewöhnt. Vielleicht wollte man sich auch das lästige Procedere ersparen, durch später notwendige „Korrekturen“ und neue Stresstests der Banken um mehr Geld bitten zu müssen, als man ursprünglich für erforderlich gehalten hatte. Denn jedes Nachbessern wäre in der Außenwirkung als weiterer Verlust empfunden worden.

 

Ende gut, alles gut à la Behavioral Finance

Und wenn das Land am Ende für die Rettung seiner Banken weniger Geld benötigen sollte, folgt diesem ersten und einzigen Verlust sogar noch ein relativer Gewinn, entstanden durch den geringer als erwartet ausgefallenen Kreditbedarf.

Übrigens gilt diese Regel für alle Lebensbereiche. Denn die Neigung der Menschen, für jede Entscheidung ein separates mentales Konto zu eröffnen, legt nahe, Verluste (die ohnehin schwerer als Gewinne wiegen) möglichst zu aggregieren und Profite zu segregieren, d.h. einzeln auszuweisen. Und wem es dann noch gelingt, die Episode eines anfänglich horrend erscheinenden Verlustes mit einem kleinen Gewinn etwas versöhnlicher ausklingen zu lassen, der hat zumindest trotz Krise noch etwas gut gemacht. Und das wahrscheinlich auch noch kostenlos.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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