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27. August 2013

Als ich neulich das neue Buch der Psychologin und Harvard Professorin Francesca Gino mit dem Titel „Sidetracked“ aufschlug, fühlte ich mich sofort an unseren jüngsten Venedig-Urlaub erinnert. Denn ich glaube, es gibt kaum einen anderen Platz in Europa, an dem den Touristen so viele Kopien edler Handtaschen angeboten werden. Ob Louis Vuitton, Chanel, Prada oder Gucci: Alles gibt es in mehr oder weniger guter Qualität zu kaufen. Und das zu erheblich günstigeren Preisen als die Originale, die unter den Wohlhabenden dieser Welt als Statussymbole, also als typische Positionsgüter gelten. Kein Wunder, dass diejenigen, die sich derlei Taschen im Original nicht leisten können oder wollen, zumindest dann und wann den Eindruck erwecken möchten, zum Kreis ihrer Besitzer zugerechnet zu werden. Vermutlich setzen sie darauf, dass die meisten Menschen ohnehin nicht in der Lage wären, Original und Fälschung voneinander zu unterscheiden.

Aber zurück nach Venedig. Wie klein doch die Welt ist, dachte ich mir, als ich eines Abends über den Markusplatz schlenderte und plötzlich in der Menschenmenge eine Bekannte aus Frankfurt erblickte. Wir begrüßten uns überschwänglich.  P. wollte allerdings die Lagunenstadt schon am nächsten Tage wieder verlassen und erklärte mir, nachdem wir uns ausgiebig darüber ausgetauscht hatten, welche Sehenswürdigkeiten man unbedingt besichtigt haben müsse, sie habe jetzt noch etwas Dringendes zu erledigen. Denn sie müsse unbedingt eine dieser wunderbaren Handtaschenkopien erwerben. Innerlich schüttelte ich zwar den Kopf, aber dennoch konnte ich es mir nicht verkneifen, meiner Bekannten einen Verhaltenstipp mit auf den Weg zu geben: Nie zu viel Interesse zeigen! „Komm doch am besten mit, dann kann mir nichts passieren“, forderte sie mich schließlich auf. Als wir gerade einmal ein paar Schritte nebeneinander her gelaufen waren, kam uns bereits der erste Straßenhändler entgegen. „Lauf einfach weiter!“ zischte ich P. zu, und prompt verfolgte uns der Verkäufer und rief: „Nice bag, nice bag!“ – „Geh weiter!“ – „Tell me, what’s your price?“ insistierte der Händler. „Das muss der doch besser wissen“, dachte ich, wohlwissend, dass selbst die Mitte zwischen meinem theoretischen Angebot von null Euro und dem angesagten Verkaufspreis des Händlers immer noch viel zu viel Geld für das Plagiat gewesen wäre. Aber es war zu spät. Denn meine Bekannte wollte – in einem fragwürdigen Sinne ethisch korrekt – den armen Straßenhändler, der womöglich auch noch in einem Flüchtlingsboot nach Italien gelangt war, nicht mit einem unverschämten Angebot herunterhandeln. Am Ende hatte P. für eine Fälschung viel zu viel bezahlt. Aber immerhin in dem Bewusstsein, dem armen Mann zu einem guten Deal verholfen zu haben. Wer weiß, was der sonst von seinem Chef zu erwarten gehabt hätte.

 

Fälschung mit Folgen

Was hat das nun alles mit dem Buch von Francesca Gino zu tun? Sehr viel! Gleich zu Beginn ihres Buches verweist die Psychologin auf eine ihrer Studien, die sie zusammen mit zwei anderen Wissenschaftlern[1] durchgeführt hat. Ziel dabei war, herauszufinden, ob Menschen, die gefälschte Waren kaufen, sich genauso gut wie diejenigen fühlten, die ein Original erworben hatten. Denn eigentlich muss man doch davon ausgehen, dass jeder mit einem scheinbar  hochwertigen Produkt, mit einer teuren Marke signalisieren möchte, ein bewunderns- und begehrenswerter Mensch zu sein.

Doch die Studie förderte vor allem zu Tage, dass sich Menschen, die sich mit unechten Produkten ausstaffieren, nicht nur weniger authentisch fühlen, sondern auch noch einen starken Hang zur Unehrlichkeit haben. So zeigte sich in einem entsprechenden Versuch: 74 Prozent der Träger gefälschter Edel-Sonnenbrillen tendierten zu einem erhöht unehrlichen Verhalten, während von denjenigen, die eine echte Sonnenbrille trugen – nur 30 Prozent diese Neigung offenbarten.

Erst zögerte ich, aber dann rief ich doch meine Bekannte an, um ihr von der Studie zu erzählen. Nein, sie sei sich – wie übrigens auch ein Teil der Probanden aus dem Versuch – nicht darüber im Klaren, dass sich das von ihr günstig erworbene Handtaschenplagiat langfristig möglicherweise zumindest moralisch als teuer erweisen könnte, erklärte sie. Ihr ginge es ja auch gar nicht um Status und Sozialprestige. Sie habe nur einfach einen Handtaschenfimmel. Außerdem besitze sie in ihrer Sammlung durchaus auch einige wertvolle Originale. Womit sie sich  – und mich – gleichermaßen beruhigte.

 



[1] Gino, Francesca, Norton, Michael I., Ariely, Dan (2010): The Counterfeit Self: The Decptive Costs of faking It, Psychological Science 21 (5) pp. 712-720

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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