Märkte Politik

Ein ungeliebtes Commitment

am
29. August 2013

Wenn man zurzeit die Stimmen der Kommentatoren einsammelt, bekommt man sehr leicht den Eindruck, die Finanzmärkte würden in erster Linie durch die Entwicklungen in Syrien bestimmt werden. Und weil leicht verfügbar, greift man sich als analytische Blaupause für eine etwaige Intervention der USA im Mittleren Osten die damalige Entwicklung der Ereignisse im Irak-Krieg. Da muss man nicht viel nachdenken und kommt ganz leicht zu (vor)schnellen Schlüssen. Vorsichtshalber fügt man von Analystenseite noch hinzu, dieses Mal sei die Situation noch vielschichtiger und viel vertrackter als damals. Das vermittelt Kompetenz.

Einige Beobachter werden auch nach dem Motto: „Was damals geschah“ nicht müde, Charts früherer Krisen hervorzukramen und aus der Entwicklung verschiedener Märkte in den Wochen vor und nach großen militärischen Interventionen, sei es im Kosovo, Libyen oder Afghanistan gewesen, Prognosen für die Zeit „nach Syrien“ zu erstellen. Das hinterlässt bei manchem Privatanleger und Investor den Eindruck, alles sei unter Kontrolle, als bräuchte man dafür nur die Historie der Finanzmärkte etwas zu durchleuchten. Aber, wie etwa Gideon Rachman in der heutigen Ausgabe der Financial Times schreibt, mag es zwar naheliegend sein, die damalige US-Intervention im Irak als Vergleich zur syrischen Krise heranzuziehen, doch dies führe in die Irre.

Natürlich möchten nicht nur politische Entscheider aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Vor allem sind Beobachter und Kommentatoren, aber auch viele Bürger der westlichen Welt heute wesentlich misstrauischer, wenn es etwa um Geheimdienstinformationen wie seinerzeit die des CIA und des britischen MI6 geht. Während es George W. Bush und der damalige britische Premier Tony Blair regelrecht darauf angelegt hatten, über derartige Informationen eine Rechtfertigung für einen Krieg mit dem Irak zu bekommen, kann ich mir gut vorstellen, wie der heutige US-Präsident im Innersten seines Herzens hoffen mag, von den Geheimdiensten keine eindeutigen Informationen über die Verantwortlichen des Giftgaseinsatzes in Syrien zu bekommen. Weil Klarheit vermutlich für massive kognitive Dissonanz bei Barack Obama sorgen würde.

 

Ausweg Demokratie

Denn die von Obama gezogene rote Linie stellt unbestritten ein riesengroßes Commitment, eine so starke Verpflichtung dar, dass ihr Überschreiten eine Intervention in Syrien unumgänglich erscheinen lässt, will der US-Präsident nicht seine Glaubwürdigkeit verlieren. Es sei denn, die Informationen darüber, wer die rote Linie tatsächlich überschritten hat, sind zwei- oder mehrdeutig und damit selektiv interpretierbar. Womit etwaige Dissonanzen beim Entscheider vermindert werden könnten.

Auch die Tatsache, dass der heutige britische Premier David Cameron angesichts der Widerstände in seiner eigenen Regierungskoalition nicht so vorpreschen kann wie er dies anfänglich hatte durchblicken lassen, zeigt: Es gibt für Barack Obama durchaus noch Möglichkeiten, sich über den Weg demokratischer Prozesse in den Staaten der Verbündeten von der roten Linie ohne Gesichtsverlust zu entfernen. Vor allem, wenn er eigentlich nicht in einen syrischen Bürgerkrieg verwickelt werden möchte.

Je länger sich jedoch der Entscheidungsprozess über eine geeignete Antwort zu den schrecklichen Vorgängen in Syrien hinzieht, desto weniger dürfte dies wegen der damit einsetzenden Adaption einen nachhaltigen Einfluss auf die Finanzmärkte haben. Die jüngste Stimmungserhebung der Börse Frankfurt verdeutlicht sogar, dass die schwelende Krise im Mittleren Osten womöglich gar nicht der tatsächliche Beweggrund für die jüngsten Kursentwicklungen gewesen ist. Einen entsprechenden Kommentar meines Mitstreiters Gianni Hirschmüller finden Sie (hier), während ich mich (hier) um die Detailanalyse gekümmert habe.

SCHLAGWÖRTER
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1 Kommentar
  1. Antworten

    Michael Schulte

    29. August 2013

    Lieber Herr Goldberg,

    so sehr ich oft mit Ihren Analysen und den von Cognitrend übereinstimme, glaube ich doch, dass sich Ihr Kollege mit der Behauptung „der Rückgang im DAX hätte eher nichts mit Syrien zu tun“, etwas zu oberflächlich und vor allem ohne echte Grundlage – rein spekulativ – aus dem Fenster lehnt.

    Ein kurzer Blick auf die Bewegungen der klassischen Safe-Haven Assets wie den Yen, Öl oder Gold zeigt ganz eindeutig und ohne jeden Zweifel die klassischen Marktanpassungen, die sich auch in den breiten Indizes von S&P500 bis DAX bemerkbar machen.

    Ansonsten bin ich wieder völlig d´accord, diese donnernden Kanonen und das damit einhergehende negative Sentiment beim „dumb money“ sind für den weiteren Marktverlauf keineswegs negative Indikatoren, der Verlauf der politischen Situation ist nicht wirklich vorhersehbar und trotzdem haben politische Börsen kurze Beine und die Sondereffekte der Aufregung bilden sich auch typischerweise bald wieder zurück.

    Gruss, Michael Schulte

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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