Märkte Wirtschaft

Wiederkäuer

am
22. August 2013

Nun ist es also raus, das Protokoll der vergangenen Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) der US-Notenbank. Und wenn man etwa einer Überschrift der heutigen Ausgabe der Börsenzeitung folgen möchte, hat die Fed die Hoffnungen enttäuscht. Nein, damit sind nicht etwa heimliche Erwartungen an eine Verschiebung oder gar Aufgabe des Tapering-Programms gemeint. Vielmehr handelt es sich um die aus meiner Sicht völlig überzogene Hoffnungen, aus einem alten Protokoll neue Hinweise zur Geldpolitik zu bekommen. Aber wären derartige Erkenntnisse, sofern es sie gegeben hätte, angesichts der neuen Politik der Transparenz der Fed ohnehin nicht schon längst an die Öffentlichkeit gelangt? Wäre nicht der vielerorts als Sprachrohr der Fed betrachtete Journalist des Wall Street Journal, Jon Hilsenrath, längst aktiv geworden und hätte uns aufgeklärt? Wenn ich heute manchen Kommentar lese, bekomme ich den Eindruck, dass man allen Ernstes gedacht hat, die Teilnehmer der FOMC-Sitzung hätten bereits vor drei Wochen (!) gewusst, wie sich die ökonomischen Daten und Märkte bis gestern entwickeln würden. Allein, sie wollten es uns damals nur nicht verraten. Etwa damit sich das Sitzungsprotokoll spannender lesen würde?

Am jüngsten Protokoll zeigt sich indes: Die Notenbank weiß nicht mehr als der Rest der ökonomischen Experten-Welt und sie ist sich unsicher über die konjunkturelle Situation. Aber wir unterhalten uns ohnehin über längst gelegte Eier, käuen alte Informationen wieder. Und wenn die Finanzmärkte dennoch so volatil wie gestern im Anschluss an die Veröffentlichung des Protokolls geschehen reagieren, könnte dies auch zu dem Schluss führen, dass diese Entwicklungen im Grunde eigentlich gar nichts mehr mit dem möglichen Auslaufenlassen der Anleihekäufe zu tun haben. Denn längst haben sich etwa bei der Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen und an den Emerging Markets eigenständige Trends ausgebildet, die auch andere Ursachen haben können. Dabei haben die bei dieser Gelegenheit auftauchenden Nachrichten – egal wie sie ausfallen – nur eine Funktion: Sie befeuern letztlich aufgrund der selektive Wahrnehmung der Akteure die bereits bestehenden Trends, die damit ganz leicht außer Kontrolle geraten können.

 

Unkontrollierbare Trends

Vielleicht ist der derzeitige Aufwärtstrend der Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen nicht nur wie oft behauptet Spiegel gestiegener Wachstumserwartungen, sondern reflektiert auch ein Misstrauen gegenüber der Notenbankpolitik. Nicht zwingenderweise, weil Letztere schlechte Entscheidungen getroffen haben könnte. Vielmehr scheint sich bei vielen Marktteilnehmern ein wachsendes Kontrolldefizit bereit zu machen. Sie spüren unterschwellig, dass die Nachfrageseite an den Bondmärkten nicht mehr stabil ist. In diesem Zusammenhang ist es nicht gerade vertrauensbildend, wenn Mitglieder des FOMC laut Protokoll in Betracht zogen, den numerischen Schlüssel für den frühesten Zeitpunkt einer Wende bei den kurzfristigen Zinsen, nämlich eine Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent oder darunter, bei Bedarf nach unten setzen zu wollen.

Für noch hirnrissiger halte ich jedoch den Schluss, den manche Kommentatoren aus dem Sitzungsprotokoll der Fed ziehen, dass am Ende die volatilen Nonfarm Payrolls des Monats August dafür ausschlaggebend sein sollen, ob die Notenbank nun mit dem Tapering tatsächlich im September beginnt. Vielleicht könnte man ja auch, so las ich, das Reduktionsvolumen der Anleihekäufe, sozusagen als Kompromiss, auf 10 Milliarden Dollar senken. Ein Betrag also, der einmal mehr unter den jüngsten Konsensus-Schätzungen der Analysten (Reuters) von 15 Milliarden liegt.

Unterdessen haben wir trotz all dieser Unsicherheiten anhand der von der Börse Frankfurt erhobenen DAX-Stimmung versucht, neue Erkenntnisse für den deutschen Aktienmarkt zu bekommen. Diese habe ich hier dargelegt. Mein Mitstreiter Gianni Hirschmüller hat sich (hier) auch dieses Mal um die Analysedetails gekümmert.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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