Nur eine Mehrheit
Bei der letzten EZB-Sitzung des scheidenden Präsidenten Jean-Claude Trichet gebrauchte dieser zum ersten Mal seit Längerem bezüglich des Zinsbeschlusses nicht mehr das Wort „unanimous“ als Ausdruck einer einstimmig gefällten Entscheidung. Stattdessen gab es für den Entschluss, die Zinsen unverändert zu belassen, nur einen „consensus“, eine Mehrheitsentscheidung. Woraus einige Kommentatoren sofort schlossen, dass es bei der nächsten Sitzung der Zentralbank unter neuer Führung von Mario Draghi eine Zinssenkung geben werde. Darüber kann man geteilter Meinung sein, zumal es bei anderen großen Zentralbanken wie etwa der Fed oder der Bank von England gerade bei den jüngeren Beschlüssen auch immer wieder Abweichler gegeben hat, die sich aber am Ende nicht durchsetzen konnten.
Einige Kommentatoren mag es aber auch beunruhigt haben, dass die EZB-Entscheidungen nicht mehr aus einem Guss sind. Frei nach dem Motto: Gerade in der Krise erwartet man doch Zusammenhalt. Das mag vordergründig richtig sein, kann aber bei näherem Hinsehen zu Entscheidungen führen, die man gelinde ausgedrückt nicht unbedingt als optimal bezeichnen kann. Mir fällt bei Konstellationen in Kleingruppen, von denen einstimmige Entscheidungen als Zeichen eines klaren Commitments erwartet werden, immer wieder der vom Sozialpsychologen Irving A. Janis in den 1970er Jahren geprägte Begriff des Groupthink-Phänomens ein. Allein schon der für solche Gruppen verräterisch klingende Satz „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ zeigt eine Abschottung gegen Einflüsse von außen. Ein Gleichklang der Einstellung und Meinungen führt dazu, dass nicht mehr ausreichend nach Informationen gesucht wird und nur Nachrichten, die die eigene Position bestätigen oder rechtfertigen wahrgenommen werden. Schlimmer noch: Der so genannte Stallgeruch erhöht noch einmal das Vertrauen in die gemeinsam getroffenen Entscheidungen. Denn gerade in wichtigen Entscheidungsgremien – sei es bei der Zentralbank aber auch in der Politik – versucht man intuitiv Menschen, Gleichgesinnte, Buddies etc. um sich zu scharen.
Wenn man dann auch noch unter Stress und Zeitdruck gerät, sind die Voraussetzungen für Groupthink erfüllt. Ein Phänomen, das deswegen so berüchtigt ist, weil es das Aussitzen, das Beharren auf einer Position oder auf zum Scheitern verurteilten Projekten unnötig verlängert. Die Gruppe hält im schlimmsten Fall solange an ihrer Entscheidung fest, bis sie ins Desaster führt.
So gesehen, war ich froh, dass sich für den jüngsten Zinsbeschluss der EZB „nur“ eine Mehrheit gefunden hat.