Behavioral Ethics Gesellschaft

Gesegnete Weihnachten?

am
19. Dezember 2013

Ich gehe vor Weihnachten nur ungern in die Stadt. Aber unlängst musste ich mich dann doch mal durch die Menschenmassen durchkämpfen. Und dann sah ich sie wieder. Vornehmlich junge Menschen, voll bepackt mit Primark-Taschen. Weil deren Kleidung cool, zum Wegwerfen billig und immer up to date sein soll. Eine Stunde später lese ich in der heutigen Ausgabe der FT über Ereignisse, die Asien in diesem Jahr massiv beeinflussten. Über die Abenomics in Japan, über radikalen Reformen in China, über den eskalierten Streit zwischen Japan und China um ein  paar kleine Inseln im ostchinesischen Meer. Und über Rana Plaza in Bangladesch, wo der Einsturz eines Gebäudes 1.129 Menschen, überwiegend Textilarbeiterinnen, das Leben kostete. Ja, das war in 2013! Aber das scheint viele Verbraucher hierzulande (wie auch vermutlich anderswo) kaum zu beeindrucken, wie im Oktober eine ZDF-Dokumentation zeigte[1].

In der klassischen Morallehre wird unterstellt, dass Menschen ethische Dilemmata erkennen und darauf bewusst reagieren. Daraus folgt, dass ihrer Annahme nach unethische Handlungsalternativen mit Absicht gewählt werden. Ähnlich also wie in der Ökonomie, wo dem Menschen eine absolute Rationalität unterstellt wird.

Die Anhänger der Behavioral Economics sprechen dagegen vorzugsweise von begrenzter Rationalität (bounded rationality[2]), weil sie davon ausgehen, dass Menschen bei ihren Entscheidungen durch ihre kognitiven Beschränkungen beeinflusst werden. Und so wundert es nicht, wenn es dazu analog die Theorie einer begrenzten Ethik (bounded ethicality[3]) gibt.    

 

Begrenzte Ethik

Die begrenzte Ethik geht davon aus, dass unethisches Verhalten meist nicht intentional geschieht. Denn unsere ethischen Urteile basieren häufig auf Ursachen, die außerhalb des Bewusstseins liegen. So beschäftigt sich die verhaltensorientierte Entscheidungstheorie zunächst mit den Zielkonflikten, die entstehen, wenn Entscheider zwischen verschiedenen Handlungsoptionen wählen müssen. Das können auch verschiedene Produkte sein. Soll ich ein preisgünstiges T-Shirt oder ein teures Markenbekleidungsstück kaufen? Werde ich, rein ökonomisch betrachtet, erleben müssen, wie das billige Shirt schon nach kurzer Zeit in seine Einzelteile zerfällt während der Markenartikel möglicherweise länger hält? 

In ethischer Hinsicht bedeutet dies jedoch, dass ich den persönlichen Nutzen auch noch gegen einen möglichen gesellschaftlichen Schaden abwägen muss. Vielleicht sollte man sich dann die Frage stellen, warum ein T-Shirt einer großen Handelskette so billig angeboten wird. Wie kann es denn sein, dass ein Kleidungsstück, das im fernen Bangladesch hergestellt, nach Deutschland transportiert wurde und letztlich in einem Geschäft mit vielen Angestellten, entsprechender Werbung etc. landete, nur ein paar Euro kostet? Längst scheinen sie vergessen, die Bilder einer einstürzenden Fabrik in Bangladesch, das Foto eines toten, sich im Schutt der Trümmer umarmenden Paares, wenn man die Menschenmassen sieht, die völlig unbeeindruckt nach wie vor in die Läden der betroffenen Kette strömen. Hatte man sich nicht vorgenommen, das nächste Mal nicht mehr einen solchen Laden zu betreten? Aber schon ein paar Tage später geschieht es dann eben doch: Es war ja nur ein billiges T-Shirt, eine Jeans, die einen ins Auge gefallen ist.



[2] Simon, H. (1983): Reason in Human Affairs. Stanford: Stanford University Press

[3] Vgl. auch Bazerman, Max H.; Gino, Francesca (2012): Behavioral Ethics: Toward a Deeper Understanding of Moral Judgement and Dishonesty, Annual Review of Law and Social Science, Vol. 8, pp. 85 – 104, 2012

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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