Fiese Coperti
Ja, wir haben es noch einmal gewagt, fast zwei Wochen lang mit unseren drei Kindern nach Venedig zu reisen. Also wieder Urlaub in einer Stadt, aber dafür mit wirklichem Hochsommer. Denn im Gegensatz zum nasskalten Deutschland empfing Venetien uns mit Temperaturen von mehr als 30 Grad. Trotzdem machten wir es wie im Vorjahr – vormittags Kultur, nachmittags raus auf den Lido zum Schwimmen. Von Krise war nicht viel zu spüren. Und die Venezianer beeindruckten uns mit ihrer Steuerehrlichkeit, denn selbst bei jeder Kugel Eis verteilten sie einen Kassenbon. Ob es sich wohl für die Verkäufer lohnen würde, die von Touristen meist achtlos liegen gelassenen Verkaufsnachweise wieder einzusammeln? Nein, lassen wir das, ich wollte mir nicht auch noch im Urlaub Gedanken darüber machen, ob Italien wirklich alles tut, um seine Sparziele auch in fiskalischer Hinsicht zu erreichen.
Und weil unser Feriendomizil abseits vom Hochtourismus im Stadtteil Cannareggio lag, wo noch viele Einheimische leben und arbeiten, war es nur naheliegend, dass wir zum Abendessen auch eine der dortigen Osterien aufsuchten, die sich überall, auf einem kleinen verschwiegenen Campo oder direkt an einem der vielen malerischen Kanäle, entdecken lassen. Das Essen war wie immer fantastisch, der Wein nicht „overpriced“ wie es neudeutsch heißt, die Kinder ausnahmsweise einmal nicht zerstritten – bis dann die Rechnung kam. Nicht, dass sie auffallend hoch gewesen wäre. Aber ich war doch leicht angesäuert, als ich dort an erster Position fünf so genannte „Coperti“ (Gedecke) à 3,50 EUR vorfand. 3,50 EUR nur fürs einfache Platznehmen. Mit drei Kindern macht das 17,50 EUR!
Aber ich bin ja selbst schuld, wenn ich aufgrund der Erkenntnisse der Behavioral Economics Restaurantrechnungen grundsätzlich von unten nach oben lese. Die großen Posten damit automatisch zuerst und die kleinen zuletzt. Denn ich weiß aufgrund der so genannten Peak-End-Regel, dass die größte und die zuletzt wahrgenommene Einzelheit einer Geschichte für die Wahrnehmung von wesentlicher Bedeutung sind. Jene Details sind es auch, die uns in Erinnerung bleiben. Vielleicht gab es ja deswegen, zum Ausgleich sozusagen, nach der Rechnung einen Schnaps vom Hausherrn, der uns versöhnlich stimmen sollte. Aber die fünf Coperti, fünf kleine Verluste, Gebühren ohne Gegenleistung sozusagen, wogen so schwer, dass mir ein Grappa nicht gereicht hätte, um das Ganze zu vergessen.
Im Stadtteil des venezianischen Hochtourismus, San Marco, scheint man indes gelernt zu haben, Einzelpositionen (=Verluste) auf den Rechnungen geschickt zu aggregieren. Da findet man nämlich auf zahlreichen Speisekarten und Werbetafeln den ausdrücklichen Hinweis, dass man in dieser Lokalität auf Coperti verzichte. Natürlich nicht wirklich, denn diese sind bereits in den sündhaft hohen Menü-Preisen versteckt. Und dennoch haben wir auch in diesem Jahr zwar wieder mit erleichtertem Geldbeutel, aber umso schwereren Herzens von der Lagunenstadt Abschied genommen.