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19. November 2012

Manchmal können einem Kinder in Sachen Behavioral Economics eine Lehrstunde erteilen. Auch ich erhielt vor ein paar Wochen kostenlose Nachhilfe in diesem Fach, als es um die Wunschliste eines meiner Kinder ging. „Meine Freundin hat ein iPad zum Geburtstag bekommen, das will ich auch haben, Papa!“, forderte meine neunjährige Tochter. Ihre Freundin Paula, die am selben Tag wie sie geboren ist, kann gerade einmal lesen, mit dem Schreiben hapert es hingegen immer noch ein wenig. Und als selbst Paulas vierjähriger Bruder, der noch in den Kindergarten geht, auch noch ein iPad bekam, war für meine Tochter klar, was sie sich zu Weihnachten wünschen würde. Natürlich gibt es auch unter kleinen Kindern jede Menge Positionsgüter (mehr dazu hier). Manchmal kopieren sie in ihren Wünschen dabei aber auch nur die Erwachsenen. Schließlich waren etliche durchaus volljährige Menschen bereit, mehrere Tage und Nächte lang vor dem Apple-Store auszuharren, nur um als Erster ein iPad in Händen zu halten. Ich aber hatte ja bereits gelernt, dass der ewige Wettbewerb um Positionsgüter nur unglücklich macht. Deshalb würgte ich das Ansinnen meiner Tochter frühzeitig mit dem Hinweis ab, dass für mich Geschenke, die es in anderen Familien gäbe, kein Maßstab wären.

 

Referenzpunkt von Rechten und Pflichten

Nur Stunden später, es war Zeit zum Abendessen, forderte ich meine Tochter auf, den Tisch zu decken. Und weil ihr Bruder gerade nutz- und tatenlos in der Gegend herumstand, war klar, dass sie versuchen würde, diese „Verpflichtung“ auf ihn abzuwälzen. Weshalb ein paar Minuten später ein lautes Wortgefecht der beiden in vollem Gange war, während der Tisch immer noch genauso leer dastand wie zuvor. Der Streit zwischen den beiden eskalierte, so dass ich schließlich dazwischen ging und meiner kleinen Tochter das erklärte, was wohl in fast allen Familien in solch einer Situation gesagt wird: „Im Zusammenleben hat jeder Pflichten…“, holte ich aus. Und ich rechnete vor, dass bei drei Kindern und drei Mahlzeiten am Tag jedes von ihnen einmal mit Tischdecken und einmal mit Abräumen an der Reihe wäre. „Ich bin überzeugt, dass die Kinder in anderen Familien noch viel mehr im Haushalt helfen müssen“, wollte ich das Thema beenden. „Aber Papa, bei den Geschenken waren Dir die anderen Familien doch völlig egal. Warum bringst Du sie dann jetzt beim Tischdecken ins Spiel?“, warf meine Älteste, die gerade zur Tür hineingekommen war, lässig ein. Da wurde mir schlagartig klar, wie gerne wir die Normen von Nachbarn, Freunde und Verwandten im sozialen Vergleich als Referenzpunkt heranziehen. Aber nur wenn es um Rechte geht und nicht um Pflichten.

Und wieder wurde mir einmal bewusst, dass auch ich nach all den Jahren Verluste und Gewinne immer noch ganz unterschiedlich erlebe und bewerte.

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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