Märkte

Zahlengläubigkeit der Fed

am
15. November 2012

Auch die stellvertretende Fed-Chefin Janet Yellen ist offenbar Befürworterin klarer Leitlinien, wenn es um die Zentralbank-Politik geht. Dies geht aus ihrer gestrigen Rede deutlich hervor. Wie bereits zuvor schon andere Mitglieder des Offenmarktausschusses (FOMC), ist sie offenbar ein großer Fan, die weitere Geldpolitik der Notenbank an die Entwicklung des Arbeitsmarkts zu binden. Damit reiht sich in die Gruppe derjenigen des FOMC ein, die sich von einer kalenderabhängigen Bindung geldpolitischer Entscheidungen – wie sie etwa bei der Ausgestaltung der Niedrigzinspolitik derzeit praktiziert wird und deren Horizont bis Mitte 2015 reicht – lösen möchten. Stattdessen will Frau Yellen die Fortdauer der ultraniedrigen Zinspolitik an eine Kombination von Wirtschaftsdaten binden, die sowohl die Beschäftigung als auch die Inflation in den USA repräsentieren. Ähnlich also, wie jüngst Charles Evans, Präsident der Chicagoer Fed, der vorgeschlagen hatte, die Politik niedriger Fed-Funds-Raten solle solange fortdauern, bis die Arbeitslosenquote unter 7 Prozent gefallen sei, vorausgesetzt der mittelfristige Inflationsausblick bliebe unter 3 Prozent.

 

Regelbasiertes Entscheiden nur bei „richtigen“ Regeln sinnvoll

Auf den ersten Blick mögen solche quantitativen Bedingungen den Vorteil haben, dass sie eine klare, im Voraus definierte Kombination von Regeln darstellen. Werden Sie erfüllt, würde nach Aussagen einiger FOMC-Mitglieder, zwar nicht sofort ein Schalter umgelegt, aber die Marktteilnehmer würden von der Fed nach einer angemessenen Reaktionszeit zumindest zügige Maßnahmen erwarten, die die Akteure im Kalkül ihrer Handelsstrategien zuvor bereits entsprechend berücksichtigen können. Diese vordergründige Offenheit hat für mich jedoch auch gravierende Nachteile. Denn es entstünde bei der Notenbank die Tendenz zu einer reinen Zahlengläubigkeit, ohne dass mit Sicherheit gesagt werden kann, dass die zu Rate gezogenen ökonomischen Indikatoren für die Einschätzung der Konjunkturentwicklung tatsächlich sinnvoll sind. Ganz zu schweigen davon, dass unerwarteten konjunkturellen Einflüssen oder externen Entwicklungen bei dieser Art der reinen Zahlenbetrachtung im Zweifel zu wenig Rechnung getragen würde. Denn allein schon die Ankerwirkung eines Indikators auf wichtige Entscheidungen unter Unsicherheit dürfte zu beträchtlichen Verzerrungen bei der Beurteilung der tatsächlichen ökonomischen Situation beitragen.

Was die Marktteilnehmer angeht, interpretieren die meisten von ihnen angesichts des derzeit vorherrschenden Konjunkturpessimismus in den USA die jüngsten Statements einzelner FOMC-Mitglieder als Indiz für eine anhaltend lockere Geldpolitik. Sollten sich jedoch die Arbeitsmarkdaten in den kommenden Monaten deutlich verbessern, dürfte es recht schnell zu einem Umdenken bei den Akteuren kommen. Dies könnte paradoxerweise dazu führen, dass gute oder besser als erwartet ausfallende Arbeitsmarktdaten in Zukunft als negativ für den Aktienmarkt gedeutet werden können, und zwar je stärker sie zum von der Notenbank festgelegten Ziel hinstreben. 

Was die Aktienmärkte sonst noch bewegt und welche Stimmung unter den mittelfristig orientierten Akteure derzeit vorherrscht, erfahren Sie in unserer wöchentlichen Analyse für die Börse Frankfurt, die Sie hier abrufen können. Die Detailanalyse dazu (bitte den entsprechenden Reiter oberhalb der Analyse anklicken!) hat dieses Mal Gianni Hirschmüller erstellt.

SCHLAGWÖRTER

12. November 2012

19. November 2012

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Joachim Goldberg
Frankfurt am Main

Seit rund 40 Jahren beschäftigt sich Joachim Goldberg mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Bis heute faszinieren ihn die vielen Facetten, Nuancen, Geschichten, Analysen und Hintergründe, die sich in der weißgezackten Linie auf der großen Börsenkurstafel niederschlagen. Aber erst mit der Entdeckung der psychologischen Einflüsse auf die Finanzmärkte meint der studierte Bankfachwirt und frühere Devisenhändler dem, was die Welt der Finanzen antreibt und bewegt, nahe gekommen zu sein.

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